http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2011-30-31/0116
sind auf ihre Weise gegenwärtig. Feuer und Wasser, die polaren Kräfte, erscheinen in den zün-
gelnd-flammenden und in den bewegt-strömenden, abwechselnd rot und blau dargestellten Strahlenornamenten
. Das Luftelement wird lebendig in den Vögeln sowie in den zahlreichen zarten
Schmetterlingen. Sie sind „ von ihrem innersten Wesen her bewegte Luft. Farbige Luft. Entfaltete
Luft"25. Nicht zuletzt ist „Schwester Mutter Erde" sichtbar in ihrem grünen, von Gräsern, Blumen
und Blüten durchwirkten Kleid. Damit ist die Schöpfung zeichenhaft in der Gewölbeausmalung
präsent und ihre festlich-heitere, anmutige Ausstrahlung, die etwas von der Transparenz
der sichtbaren Welt auf ihren Ursprung hin ahnen lässt, kann im Sinn franziskanischer Schöpfungsspiritualität
gedeutet werden.
Durch seinen Sonnengesang will Franziskus zugleich die Herzen der Menschen bewegen und
sie zu einem christlichen Leben aufrufen26. In seiner Bestimmung als Predigtlied stellt dieser
Lobpreis den Menschen vor die Frage, ob er bereit ist, aus Ehrfurcht vor dem Schöpfer und aus
Liebe zu allen seinen Kreaturen verantwortlich zu handeln. Da der „mindere Bruder" die Ver-
schwisterung mit der ganzen Schöpfung glaubwürdig lebte und überzeugend lehrte, wurde er
zu einem Vorbild, an dem sich die Hoffnung der Menschen auf eine Antwort in der weltweiten
ökologischen Krise aufrichtete. Ihren Ausdruck fand diese Hoffnung auch darin, dass Franziskus
1980 zum Patron des Umweltschutzes und der Ökologie ernannt wurde.
Obschon der Restaurator in seinen Ausführungen keinen ausdrücklichen Hinweis gibt, der es
nahe legt, seine Neuausmalung als eine Gestaltung des Sonnengesangs zu interpretieren, bringt
er doch den Wunsch zum Ausdruck, dass durch seine dekorative Arbeit „ die Stimme von Hilfe,
Vernunft, Einigkeit und Liebe " hörbar wird. Diese Stimme wird in der Evangelischen Kirche
als einem mehrstimmigen „Mundhaus" noch klarer vernehmbar, wenn sie sich in den Worten
des Sonnengesangs wiederzufinden vermag. Mit seinem „ Cantico difrate Sole " hat der Heilige
eine Melodie angestimmt, die in ihrer Schönheit und Wahrheit zeitlos ist. So inspirierte der altitalienische
Urtext den Komponisten Rolf Schweizer zu einem eindrucksvollen Werk, das vor
wenigen Jahren in Kenzingen zur Aufführung kam. Unter dem franziskanisch-heiteren Himmel
der ehrwürdigen Klosterkirche entfaltete sich die zeitgemäße Vertonung des Sonnengesangs zu
einem hymnischen Klangereignis. Die Worte nach dem „Lied der Kreaturen" werden in dieser
Kirche auch heute im Gottesdienst der evangelischen Gemeinde angestimmt und nehmen die
Singenden und Schauenden hinein in das Lob des Schöpfers, das im Strom der Zeiten weiter -
klingt: „Laudato si, o misignore, [...] Sei gepriesen, denn du bist wunderbar, Herr!" (EG 515).
Anmerkungen
1 Zitat aus der Festpredigt (12.5.1995), die Prälat i.R. Gerd Schmoll, Freiburg, mir freundlicherweise zur
Verfügung stellte.
2 Zit. nach Marion Küstenmacher, Vom Zauber der Blumen und einfachen Dinge, München 2004, S. 10.
3 Die Ausführungen fußen auf der Expertise des Restaurators Bernd Baldszuhn, Offenburg, sowie auf seinem
Befundbericht vom 19.5.1992 an den leitenden Architekten der Innenrenovierung, Dipl.-Ing. Hans
Schaudt, Herbolzheim. Ich danke Herrn Bernd Baldszuhn für die großzügige Überlassung seiner Unterlagen
.
4 Mein Dank gilt Frau Dipl.-Biologin Veronika Wähnert, Freiburg, für ihre Bereitschaft, sich mit der botanischen
Bestimmung der Kirchenflora zu beschäftigen.
114
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2011-30-31/0116