Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
30. und 31. Jahrgang.2010/2011
Seite: 236
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Schleswig-Holstein ausgewählt worden waren, kam am 12. September 1949 in Emmendingen
an. Sie wurden ins Lager Steinstraße gebracht, registriert und auf größere Kreisorte verteilt;
Kenzingen wurde niemand zugewiesen. Wohl um einer negativen Stimmung unter der Bevölkerung
entgegenzuarbeiten, meldete die "Badische Zeitung", dass die Umsiedler "einen sehr
guten Eindruck hinterließen " und "ohne Schwierigkeiten untergebracht wurden "30.

Auf einer Sitzung des Landrats mit den Bürgermeistern Ende September 1949 in Kenzingen
wurde die begonnene Umsiedlung angesprochen31. Die erste dem Land Baden zugedachte Rate
betrage 22 000 Umsiedler aus Schleswig-Holstein und 2000 aus Niedersachsen. Angesichts der
verschlechterten Arbeitsmarktlage wisse man nicht, ob die 6000 Ernährer (Facharbeiter) alle
Arbeit finden könnten. Die für den Kreis Emmendingen bestimmten Umsiedler, die bereits Hausrat
besäßen, sollten vom Bahnhof ins Kreisumsiedlerlager gebracht und dann an die Gemeinden
weitergeleitet werden. Kreisumsiedleramtsleiter Hoppner betonte, dass die Zuzugssperre der
Militärregierung immer noch bestehe. Wer Wohnraum an freie oder "wilde" Zuzügler vergebe,
boykottiere die Lösung des Flüchtlingsproblems. Ca. 4000 Flüchtlinge seien schon im Kreis.
Einige Wochen später langten die ersten Umsiedler auch in Kenzingen an.

Da um 1950 die Religion und insbesondere die Konfessionszugehörigkeit eine ungleich größere
Bedeutung als heute besaßen, blieb das nicht ohne Folgen für die Zuwanderung. Daher wies die
badische Landesregierung die Kommission, die mit der Zusammenstellung der Umsiedlungstransporte
in Schleswig-Holstein und Niedersachsen betraut war, an, bei der Auswahl der Flüchtlinge
die konfessionelle Struktur Südbadens zu beachten32. Es habe sich gezeigt, dass sich des
Öfteren protestantische Flüchtlinge in einem rein katholischen Dorf nicht wohl gefühlt hätten.
Daher sollten die Flüchtlinge "nach Möglichkeit" in gleich-konfessionelle Orte zugewiesen werden
. Machten andere Gründe eine Zuweisung wünschenswert, so sollte man nicht allzu engherzig
vorgehen.

Kenzingen ist historisch eine katholisch geprägte Stadt. 1939 waren noch 83 % der Kenzinger
katholisch und 17 % evangelisch33. Mitte 1961 hatten sich die Anteile durch die Zuwanderung
stark verschoben. Nun waren in der Kernstadt nur noch 62 % katholisch, aber 36 % evangelisch34
. Da die Konfessionszugehörigkeit damals wesentlich stärker gewichtet wurde als heute,
war auch mit konfessionellen Vorbehalten zu rechnen, wenn evangelische Neubürger auf katholische
Alteingesessene trafen. Evangelische Flüchtlinge hatten daher in so manchem Konfliktfall
ein doppeltes Handikap.

Da mit der Gründung der Bundesrepublik Deutschland die höchst ungleiche räumliche Verteilung
der Flüchtlinge fortbestand, stieg der politische Druck zur Aufnahme durch nur wenig betroffene
Bundesländer an. Verschiedene Stellen und Personen appellierten an die christliche und
nationale Solidarität. Der Generaldirektor des Nordwestdeutschen Rundfunks, Adolf Grimme,
sprach über die wachsende Not der Flüchtlinge und appellierte an die westdeutschen Länder
und Militärregierungen: Jetzt müsse sich zeigen, ob die abendländische Kultur noch von dem
christlichen Gedanken getragen werde35. Die Flüchtlinge könnten es nicht begreifen, wenn bei
einer Umsiedlung in die französische Zone finanzielle Rücksichten mehr bedeuteten als Menschenschicksale
. An der Flüchtlingsfrage werde sich beweisen, ob es ein gesamtdeutsches politisches
Bewusstsein gäbe.

Schließlich startete die Bundesregierung ein großes Umsiedlungsprogramm ("Verordnung über
die Umsiedlung von Heimatvertriebenen aus den Ländern Bayern, Niedersachsen und Schleswig
-Holstein" vom 29. November 1949)36. Von 1949 bis Ende 1965 wurden über eine Million
Menschen umgesiedelt, davon kamen allein 276 000 nach Baden-Württemberg37. Ferner hatte

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