Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
32. und 33. Jahrgang.2012/2013
Seite: 12
(PDF, 62 MB)
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Er steigt hinab zu den Aussätzigen unten in der Ebene vor der Stadt. An der Pfarrschule St. Georg
in Assisi hat er so viel Latein, Rechnen, Schreiben und Lesen gelernt, dass er - zumal als Haupt
einer schnell wachsenden Gemeinschaft - gut hätte Priester werden können. Er nimmt aber nur die
Niederen Weihen an, lässt sich in Rom anlässlich der ersten, mündlichen Regelbestätigung (1209)
die Tonsur schneiden und später zu einem nicht bestimmbaren Zeitpunkt zum Diakon weihen.
Priester wird er nicht. Er steht so zwischen den in der Kirche des Mittelalters erwachenden Laien,
die in rechtgläubigen, halbhäretischen oder häretischen Gruppen im Namen des Evangeliums die
Kirche erneuern wollen und den oft ihren Aufgaben nicht gewachsenen oder sie vernachlässigenden
Priestern und Bischöfen. Auch innerhalb seiner Gemeinschaft, die Franziskus bewusst und
vorwiegend Bruderschaft (fraternitas) nennt, nimmt er diese mittlere und vermittelnde Stellung
ein, denn seine Fraternitas besteht von Anfang an aus Klerikern und Laien mit gleichen Rechten
und Pflichten. Eine verständliche Ausnahme bildet nur das Stundengebet: Statt der für die Kleriker
vorgesehenen Psalmen und Lesungen verrichten die leseunkundigen Laienbrüder eine bestimmte
Anzahl Vaterunser und andere auswendig gelernte Gebete. Im Übrigen aber sind sie gleich, und
bis 1239 ist der Generalminister ein Laie.

Dass Franziskus - wie später auch Klara - jeden, der nach der Form des heiligen Evangeliums
leben will, „zum Gehorsam annimmt" (1. Regel 2, 9: Franziskus-Quellen (FQ), S. 71), unabhängig
von Herkunft, Stand und Bildung, stellt gegenüber früheren und zeitgenössischen Orden eine
Neuheit dar und ist eine am Evangelium orientierte, damals wie heute aktuelle Errungenschaft.
Sie trug aber auch den Keim späterer Auseinandersetzungen in sich, denn noch zu Lebzeiten des
Gründers setzte eine Klerikalisierung des Ordens ein. Sie war zu einem guten Teil von ihm selbst
verursacht, da er die Priester wegen ihrer Weihe und Vollmacht, Leib und Blut Christi in der Eucharistie
zu vergegenwärtigen, hoch schätzte und in mehreren Briefen dazu aufrief, die Eucharistie
zu verehren und an kostbaren Stellen aufzubewahren; zum anderen Teil drängte die kirchliche
Hierarchie aufgrund des Notstandes der Seelsorge zur Predigt- und Lehrtätigkeit der Brüder.

Noch stärker als die Spannung Kleriker-Laien war die damit verbundene Auseinandersetzung um
die Verwirklichung des Armutsideals. Waren die ersten „Männer der Buße aus Assisi" (FQ, S.
632), wie sie sich selbst nannten, bei Bauern, Handwerkern und in Leprosarien zu Diensten und
lebten von dem, was man ihnen an Naturalien anbot, so ergab sich mit wachsender Zahl und zunehmendem
Alter bald die Notwendigkeit, feste Häuser zu haben. Seelsorge erforderte Studien,
also brauchte man große Studienhäuser; gegen ein erstes in Bologna hat Franziskus noch heftig
protestiert, später aber die Entwicklung akzeptiert. Schrieb er in der Regel, die Brüder sollen leben
„ ohne Eigentum (sine proprio) ", so versuchte er in seinem kurz vor dem Tod diktierten Testament
die innere Haltung der Armut zu retten, indem er mahnt: „Hüten sollen sich die Brüder, Kirchen,
ärmliche Wohnungen und alles, was für sie gebaut wird, überhaupt anzunehmen, wenn sie nicht
sind, wie es der heiligen Armut entspricht, die wir in der Regel versprochen haben; und sie sollen
dort immer herbergen wie Pilger und Fremdlinge " (Testament 24: FQ, S. 61). Was entspricht der
„heiligen Armut'"? Das war die bedrängende, ja spaltende Frage durch die ganze Ordensgeschichte
hindurch. Sie ist der Stachel bis heute14.

Das absolute Geldannahmeverbot in der Regel war durch den Wechsel von der Tausch- zur Geldwirtschaft
ebenso wenig aufrechtzuerhalten wie die Vorschrift, allen Untertan zu sein, die im gleichen
Haus wohnen. Um das Geld- und Vorratsverbot einzuhalten, mussten die Brüder, falls ihnen
für die Handarbeit von Tag zu Tag nicht das Nötige gegeben wurde, betteln; ebenso für die Kranken
. Je mehr der Orden sesshaft wurde, Studienhäuser, Kirchen und Klöster meist mitten in der
Stadt unterhielt, desto mehr bildete sich ein Rollenschema heraus: hier die im Konvent studieren-

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