Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
32. und 33. Jahrgang.2012/2013
Seite: 62
(PDF, 62 MB)
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und wirtschaftlich relevanter Inhalte rekurriert, die allein auf Personen angewiesen war, die
diese Inhalte nicht in externer, unpersönlicher Speicherung sichern, aufbewahren und abrufen
konnte, sondern mit den Bedingungen menschlicher Gedächtnisse arbeitete. Die Aufgabe (oder,
wie es hier steht: die "dvrft", die Notwendigkeit), die angegeben ist und die auch bleibt, heißt
ja hier, gewisse Aktionen und Entscheidungen von Menschen an die Nachkommen weiterzugeben
, damit diese Mitteilung erhalten bleibt, genau so und nicht anders, ''reht alse'\ wie jene
ausgemacht waren.

Wer diese Eingangspassage nun liest, sieht zugleich eine aus zahlreichen mittelalterlichen lateinisch
geschriebenen Urkunden bekannte Formel als standardisierten Baustein einer regelrechten
Urkunde, die sogenannte "arenga": "Mutantur tempora, recedit memoria hominum, sed
vivit litera et per eam vivunt diucius actiones [...]. " Ahasver von Brandt hat das eine allgemein
gehaltene, "redensartliche" Begründung genannt3. Wir möchten dies jedoch nicht textimmanent
als eine für einen veritablen Urkundentext form- und stilnotwendige "Arenga" untersuchen,
sondern als inhaltliche Mitteilung, die einen Tatbestand und ein reales, allgemeines (nicht nur
speziell fallbezogenes) kulturanthropologisches Problem angibt. Dass es für die Zeitgenossen
wirklich eines war, erweist in diesem Zusammenhang eine einschlägige, instruktive Stelle aus
dem ebenfalls ausgangs des 13. Jahrhunderts verfassten "Schwabenspiegel", einem regional
übergreifend adressierten, für den ganzen oberdeutschen Raum gedachten volkssprachlichen
Rechtsbuch: Während Zeugen sterben, so heißt es dort, bleiben die "briefe also Urkunden,
und sonstige Notate immer beständig, und sie heißen Handfeste. "Briefe" seien also besser als
Zeugen (Referenztext ist hier die Donaueschinger Ausgabe von 12874, Erstexemplare jedoch
sind schon um 1275 aus Augsburg überliefert, deshalb der Titel "Schwabenspiegel"). Der Tod
von Leuten wurde also tatsächlich als ein Problem für die Überlieferung und Rechtssicherheit
betrachtet und wahrgenommen, und, mit anderen Worten, hier werden zwei real-rechtliche
mögliche Alternativen der Rechtsfeststellung und Überlieferung benannt:

- die Überlieferung allein mit und mittels Personen auf der einen Seite sowie

- die Überlieferung außerhalb von Menschen auf der anderen Seite: Gemeint ist damit eine
Überlieferung, die derart aus dem Menschen herausgenommen wird, dass sie sein Ableben
überdauert, weil sie nicht mehr an ihn und seine lebendige, gedächtnisfixierte und stimmliche
Zeugnisfahigkeit gebunden ist, sondern auf Schreibmaterial transferiert wurde, so wie der
"Schwabenspiegel" selbst.

Der Satz ist so trivial nicht, wie er scheint, denn es erhebt sich die Frage, wie die erste, vorherige
Alternative, nämlich eine rein auf persönlich-menschlicher Zeugenschaft beruhende "staetig-
keit" und "vestigkeit" der rechtlichen Aussagen bis an und über die "nahkomen " funktioniert
hat oder funktionieren sollte. Auszugehen - und ausschlaggebend auszugehen - ist dabei von
einer Gesellschaft, in der die ganz überwiegende Anzahl der Menschen, zumal die bäuerlichen
Hintersassen, weder lesen noch schreiben konnten und es auch zeitlebens nicht lernten, eine
Gesellschaft, die also in weitgehend analphabetischer Kommunikation und Tradierung organisiert
war. Die Arbeitshypothese dieses Aufsatzes wäre die, dass diese frühen volkssprachlichen
, für uns heute schriftlich noch greifbaren Texte auf die Bedingungen einer analphabetischen
, mit den Möglichkeiten von Zeugenschaft arbeitenden Kultur eingestellt waren und
diese spiegeln. Das soll im Folgenden zu explizieren versucht werden. Das Thema geht also
auch über lokale und regionale Belange hinaus und wirft Fragen auf wie: Medienwechsel,
Speicherungsalternativen. Auch wenn Schrift und Schreibmaterial "unbekannt", nicht geläufig

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