Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 38
(PDF, 34 MB)
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In der Folge necken mich meine Freunde mehrfach mit der Frage, ob der Sohn
wohl dem Vater gleiche. Viele Jahre später erzähle ich ihm dies. Seine Antwort
lautete „ Ich trage einen Namen, musste mir aber selbst einen Vornamen schaffen. "

Am ersten Tag empfangt mich der Anwalt Michel Le Troquer mit der Frage nach
meinem Namen und meiner Staatsangehörigkeit. Bei meinen Antworten schaut
er mich an und meint: „Epstein klingt wohl nicht französisch. " Ich teile ihm mit,
dass ich eine deutsche Jüdin bin. „ In diesem Fall können Sie wohl die deutsche
Staatsangehörigkeit annehmen ", lässt er mich wissen, „ denn diese steht Ihnen
zu." Ich hätte ihm die Augen ausreißen können, so wütend bin ich. Zu dieser
Zeit bin ich sehr anti-deutsch eingestellt, ich brauche lange Zeit bis ich Begriffe
wie Verantwortung, Schuld, sowie die Geschichte des zweiten Weltkrieges richtig
verstehe. Ich werde von ihm eingestellt, und seine Freundschaft wird sehr wertvoll
für mich.

Es ist meine erste Begegnung mit einem bedeutenden Mann. Im Sommer 1969
begleitet er mich nach Butzbach, damit ich den Heimatort meiner Mutter kennen
lerne. Mit seiner deutschen Frau fahren wir mit dem Auto über Heidelberg nach
Frankfurt.

In Butzbach habe ich gemischte Gefühle: die Bewohner des Hauses meiner Großeltern
haben die Rollläden heruntergelassen. Nach telefonischer Absprache werde
ich von einem kleinen Mädchen abgeholt, welches mir mitteilt, dass ihre Mutter
mich treffen möchte. Es ist eine Jugendfreundin meiner Mutter, die mir in einem
Album ein Bild von den beiden während einer Geburtstagsfeier zeigt und auch
schenkt.

Mit Michel Le Troquer spreche ich viel über den Krieg. Er selbst wurde von der
Gestapo gesucht, nachdem er Leon Blum beim Prozess von Riom verteidigt hatte.
Er trug den gelben Stern, weil seine erste Frau Jüdin war. Zu Fuß hat er Spanien
durchquert, um nach Algier zu gelangen, wo sich sein Vater an der Seite von General
de Gaulle aufhielt.

In der Tat betrachte ich ihn wie meinen Vater, und als ich ihm dies mitteile (ich
weiß heute noch nicht, wie ich ihm dies gesagt habe), ist er entzückt. Für mich
ist dies unglaublich: er ist ein Politiker, zugleich ein berühmter Anwalt und interessiert
sich für mich. Das Leben besteht aus Begegnungen, die einem für immer
prägen.

Drei Jahre lang bin ich in seiner Anwaltskanzlei halbtags beschäftigt, und nach
bestandener Prüfung finde ich eine weitere Halbtagsstelle bevor ich Frankreich
für immer in Richtung Brasilien verlasse, so glaubte ich es wenigstens damals.

Die bevorstehende Begegnung mit Mitgliedern meiner Familie in Brasilien lässt
mich über meine Zukunft nachdenken. Sie hatten mir vorgeschlagen, mich ihnen
anzuschließen. Warum auch nicht? sage ich mir. Ein Versuch ist es allemal wert,

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