Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 80
(PDF, 34 MB)
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Emmendingen war. Einige Dreifuß verwandte wohnten dort, bei denen Ludwig
und Lina dann schliefen, wenn sie an den hohen Festtagen zum Gottesdienst gingen
. Für alle Festtage des Jahres fuhren Siegfried und Gretel nach Freiburg und
wohnten bei Gretels Eltern, so dass sie dem Gottesdienst in der Freiburger Synagoge
beiwohnen konnten.

Das Fest, das immer von der Familie in Kenzingen selbst gefeiert wurde, war Pes-
sach (Befreiungsfest, Fest der ungesäuerten Brote), zu dem alle Brüder mit ihren
Ehefrauen für das Sedermahl ins Elternhaus kamen. Die Vorbereitungen dauerten
wochenlang, da Lina jeden nur denkbaren Topf und Teller schrubbte und scheuerte
, sogar die leeren Einmachgläser auf dem Dachboden. Alles wurde in den
Korridor neben der Küche geschleppt, wo ein riesiger Topf mit kochend heißem
Wasser für die Putzaktion bereit stand. Alle Zimmer wurden auf den Kopf gestellt,
die Federbetten und Teppiche gelüftet und die guten Stuben beider Wohnungen
für ihren jährlichen frischen Atemzug geöffnet...

.. .Im Frühjahr 1931 war Gretel schwanger. Große Aufregung in der Familie Dreifuß
, da keiner der anderen Söhne Nachwuchs produziert hatte. Gretel fühlte sich
gut, verwöhnte sich mit frischem Obst und Gemüse, das so reichlich in der Umgebung
zu haben war. Sie pflückte haufenweise Kirschen in den nahe gelegenen
Obstgärten und freute sich riesig über die Tomaten, die Freunde ihr korbweise
brachten. Die Nonnen des Stadtklosters leiteten das Krankenhaus in Kenzingen,
und Siegfried und Gretel planten, die Geburt dort stattfinden zu lassen. Am 25.
September erblickte ich unter der sanften Fürsorge der Nonnen-Hebammen das
Licht der Welt. Als Mädchen führte ich offensichtlich die Frauenlinie der Familie
meiner Mutter fort, aber zur Freude der Familie Dreifuß wurde mit mir das Nur-
Buben-Muster endlich unterbrochen. Die Nonnen waren besonders bemüht, die
Essgewohnheiten meiner Mutter als gläubiger Jüdin zu berücksichtigen und versicherten
ihr, dass das Wienerschnitzel nur in Butter gebraten worden war! Mama
aß nur das, was die Familie ihr brachte.

Ich wurde nach Auguste, einer Tante meines Vaters, der verstorbenen Schwester
meines Großvaters, benannt. Aber Mama bestand darauf, dass keines ihrer Kinder
einen derartigen Namen tragen würde. Ein Kompromiss wurde getroffen: Der
hebräische Name Gitel wird beibehalten, aber der Rufname wird Alice sein. Einige
Wochen nach meiner Geburt wurde der Name bei einer Hollegrasch Zeremonie
offiziell. Die Ursprünge dieser Zeremonie sind unbekannt, obwohl einige
mutmaßen, dass sie von dem alten französischen Brauch der Wiegenhochhebung
(haute la creche) bei der Namensgebung eines Mädchens herstammt. Jedenfalls
rief dieses Ereignis ein Fest auf den Plan, zu dem die ganze Familie, auch meine
Freiburger Großeltern, und alle Freunde im Dorf, insbesondere die Kinder,
eingeladen wurden. Der Tradition zufolge umringten die anwesenden Kinder die
Wiege, hoben sie dreimal hoch und sangen „Hollegrasch, wie soll das Kind hei-

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