Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
39. Jahrgang.2019
Seite: 84
(PDF, 34 MB)
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...Schließlich bekam auch ich als Kleinkind den Hass der Nazis zu spüren. Eines
meiner größten Vergnügen bei unseren Sommerbesuchen bei den Großeltern in
Freiburg war, mit meiner Großmutter zum Eisessen ins Cafe zu gehen. Gereicht in
einem Metallbecher und garniert mit zwei Waffeln, war Eiscreme nur im Sommer
und nur in Cafes erhältlich. Im Sommer 1936, als wir wie immer vergnügt unser
Eis essen wollten, hing im Cafefenster ein riesiges Schild, auf dem "Für Juden
verboten" stand. Wir wagten nicht hinein zu gehen, aus Angst, jemand könnte
uns als Juden erkennen und uns mit Gewalt hinauswerfen. Ich habe nie wieder
in Deutschland Eis gegessen. Auch im Sommer in Freiburg, während eines Spaziergangs
mit meinem Opa zum Schlossberg hinauf, hielten wir wie gewohnt an
einem Gasthaus am Wanderweg, um Wasser aus dem Brunnen im Hof zu holen.
Ich freute mich darauf, da Opa immer einen Klappbecher und ein Päckchen Orangenbrause
für mich dabei hatte. Bei diesem Spaziergang aber bekam ich mein
Getränk nicht, da ein Schild am Brunnen hing: "Für Juden verboten". Schluss
war's mit den Spaziergängen.

Schluss war's auch mit den Freunden. Bei zunehmender Nazipropaganda hatten
die Menschen Angst bekommen, mit Juden gesehen zu werden. Unsere Dorfnachbarn
gingen zur anderen Straßenseite, wenn wir draußen erschienen, und sie
hielten ihre Kinder von unserem Haus fern. Nur die Englers, die direkt gegenüber
wohnten, hielten ihre Freundschaft aufrecht. Selbst als Fünfjährige lernte ich, der
Ächtung der anderen zu entgehen, indem ich im Hause blieb.

Im Verlauf der Jahre 1936 und 1937 kämpfte unsere Familie um die Aufrechterhaltung
einer häuslichen Normalität und um die Heranschaffung von genügend
Einkommen für unsere Bedürfnisse. Mama und Papa trafen zwei Entscheidungen:
Erstens, sie würden keine zusätzlichen Kinder in eine von Hitler dominierte Welt
setzen. Dieser Entschluss erlaubte es ihnen, die ganzen Babysachen, sprich Möbel
, Kleidung und Zubehör, die sie von meiner Geburt an aufgehoben hatten, zu
verkaufen und dadurch das geringe Einkommen vom Laden aufzustocken. Unsere
christlichen Nachbarn waren glücklich, diese Ware weit unter dem Marktpreis
erwerben zu können. Zweitens, wir würden Deutschland so schnell wie möglich
verlassen. Das Vorbild für die Auswanderung war Mamas Kusine Ilse, die 1936
nach New York ging....

....Ein Erlass der Nationalsozialisten verbot die Teilnahme jüdischer Kinder am
Unterricht in den öffentlichen Schulen. Bestenfalls durften sie hinten im Klassenzimmer
sitzen, aber weder an Diskussionen noch Aktivitäten teilnehmen. Stattdessen
befahl man den jüdischen Gemeinden, eigene Schulen nur für jüdische
Kinder zu organisieren. Dies war logischerweise in vielen kleinen Dörfern und
Städten in unserer Region nicht möglich, da in den meisten nur ein paar jüdische
Kinder lebten. Die Freiburger Gemeinde aber hatte genügend Kinder, um eine
Schule zu gründen. 1935 fanden sie eine öffentliche Einrichtung, die Lessing -

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