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Alice Dreifüss Goldstein:
Normale Bürger - widrige Zeiten.
Ubersetzt aus dem Amerikanischen von Edith Dubose, herausgegeben vom
Deutsch-Israelischen Arbeitskreis Südlicher Oberrhein e.V. Hartung-Gorre Verlag
, Konstanz, 2009. 128 S., Abb., Stammbaum, Familienrezepte (S. 109-126).
„Ich habe nie wieder in Deutschland Eis gegessen. " Es sind solche Sätze, die
dem Leser unter die Haut gehen. Was war geschehen? Die Autorin, 1931 in Ken-
zingen als Kind gläubiger Juden geboren, hatte die ersten Jahre ihres Lebens in
einer wohlgeordneten Umgebung verbracht. Der Vater führte ein gut gehendes
Geschäft und gehörte mehreren Vereinen im Ort an. Die Tochter spielte fröhlich
mit Nachbarskindern. Doch 1933 kamen die Nationalsozialisten an die Macht.
Mit beispielloser Niedertracht entrechteten sie die Juden in Stadt und Land. 1936
dann ein Schlüsselerlebnis: Nach einem Spaziergang mit ihrer Großmutter will
Alice wieder in dem beliebten Cafe ein Eis essen. Da stößt im Fenster ein großes
Schild sie zurück: „Für Juden verboten ".
Tag um Tag nehmen die Schikanen und Ausgrenzungen zu. Die Eltern erwägen
eine Auswanderung. 1938 wird der Vater nach der ,Kristallnacht' mit anderen Juden
ins Konzentrationslager Dachau deportiert, erniedrigt und gequält. Nach seiner
Entlassung betreiben die Eltern mit größter Energie die Ausreise, überwinden
schier unglaubliche Schwierigkeiten und können zwei Wochen vor Beginn des
Zweiten Weltkriegs das rettende Schiff besteigen. In den USA wieder Schikanen
und Demütigungen, doch ist ihr Leben nicht mehr bedroht. Mit viel Fleiß bauen
die Eltern sich eine neue Existenz auf, legt Alice in der Schule die Grundlagen für
das Studium und ihre wissenschaftlichen Arbeiten.
Die Autorin hat ein Gespür für charakteristische Einzelheiten; anschaulich, oft
spannend erzählend ordnet sie die Geschehnisse in ein weites soziales und politisches
Umfeld ein. Dank ihres Interesses an Küche und Ernährung und an Fragen
der Wirtschaft sind in ihren Bericht Einzelheiten eingeflochten, die man anderswo
vergeblich sucht.
Jahrzehntelang hat Frau Dreifuss Goldstein darunter gelitten, dass sie in Deutschland
„ wie ein räudiger Hund verscheucht" worden ist; darüber aber hat sie ihren
Lebensmut nicht verloren. Sie und ihre Familie (drei Kinder und sieben Enkel!)
sind längst in den USA vernetzt und verwurzelt. Trotz böser Erfahrungen hat sie
später in ihrer ersten Heimat das Gespräch mit den Nachkommen der Täter und
Opfer gesucht.
Norbert Ohler
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