Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
40. und 41. Jahrgang.2020/2021
Seite: 108
(PDF, 44 MB)
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Beim Schreiben wurde mir manches klar, was ich bislang kaum bedacht hatte.
Obwohl meine Heimatstadt Hamm/W. von 1940 bis 1945 unter Bombenabwürfen
, 1945 auch unter Artilleriebeschuss zu leiden hatte (an die ich mich lebhaft
und mit vielen Einzelheiten erinnere), hatte unsere große Familie12 kein Opfer zu
beklagen. - Nach der Besetzung von Hamm und noch vor dem Ende der Kampfhandlungen
(6. 4. bzw. 8. 5. 1945) habe ich eine Woche lang bei einem französischen
Militärpfarrer, der gerade seine Freiheit wiedergewonnen hatte, ministriert.
Zu Beginn der Messe haben wir Gott und einander mit denselben lateinischen
Worten bekannt, gesündigt zu haben (die Umgangssprache kennt das mea culpa
noch); dann haben wir das Wechselgebet fortgesetzt, wieder mit denselben Worten
: Gott erbarme sich deiner und führe dich zum ewigen Leben. Erst später habe
ich die Tragweite dieses Erlebnisses ermessen: Ein zehnjähriger Deutscher und
ein gestandener Franzose waren sich als Partner in einem Gottesdienst begegnet,
der - mit dem Eingeständnis von Schuld und der Bitte um Verzeihung - zu den
Fundamenten Europas gehört13.

Gefragt habe ich mich, seit wann Christen über Konfessionsgrenzen hinweg gemeinsam
beten - in der Kirche, am offenen Grab, im außerkirchlichen Raum; ob
das in Bombach gelobte Votivbild heute noch an die große Not erinnert.

Einmal mehr erkannte ich, dass ich zu einer außerordentlich privilegierten Generation
gehöre. Wir haben das Kriegsende, das Großwerden in Not und Trümmern
und dann einen Aufstieg erlebt, den die Menschen, von denen in den Kriegsberichten
die Rede ist, nicht einmal ahnen konnten: Die Beseitigung materieller
Kriegsspuren (oft gleich nach der Zerstörung, andernorts bis Herbst 1945) lässt
sich als Zeichen eines unbändigen Überlebenswillens verstehen (es würde sich
lohnen, die Berichte mit dieser Frage durchzugehen). Nur vier Jahre nach Ende
des Krieges die Gründung der Bundesrepublik Deutschland, die sich dem Recht
und dem Frieden verpflichtet weiß; freie Wahlen; freie Parteien, Gewerkschaften
und Medien; schließlich die Wiedervereinigung Deutschlands in Freiheit und
Frieden in dem mehr und mehr zusammenwachsenden Europa. Eine Voraussetzung
dafür war die Verständigung mit Frankreich. Sie erscheint wie ein Wunder,
wenn man daran denkt, was Deutsche 1933 bis 1945 Böses getan hatten, und an
die Besetzung 1945, wie viele Pfarrer sie glaubwürdig geschildert haben14.

12 Eltern und fünf Kinder, zwei Großmütter, fünf Onkel und Tanten mit drei Ehepartnern, sechs Vettern
und Kusinen; von den männlichen Erwachsenen waren fünf,eingezogen' (zur Wehrmacht bzw. Polizei);
alle 23 haben überlebt. - Die Zahl der deutschen Kriegstoten (Militär und Zivilpersonen) dürfte sich auf
mehr als 6 Millionen belaufen.

13 Die Anerkennung von Schuld und die Bereitschaft zum Verzeihen sind im politischen Handeln
europäischer Staaten nicht selbstverständlich. Aber wenn sie fehlen, ist eine Befriedung nach Kriegen
kaum möglich; das zeigt, so meine ich, das Verhältnis Japans zu seinen ehemaligen Feinden nach 1945.

14 Mit ,Zeugnisse aus böser Zeit. Die Kriegsberichte aus der Erzdiözese Freiburg, 1945 bis 1947' (in:
Konradsblatt, Wochenblatt für das Erzbistum Freiburg. 102. Jahrgang, Nr. 48, 25. 11. 2018. Karlsruhe,
Badenia Verlag. S. 10-11) habe ich einen ersten Einblick in die Zeit und in die eigenartigen Quellen
gegeben.Meine Frau hatte unserem Sohn Michael (*1967), der gerade in Tokio zu arbeiten hatte, den
Artikel geschickt. Er mailte zurück (3. 12. 2018): „Was für Zeiten. Meine Güte, haben wir Glück. Das
muss Menschen heutzutage bewusst sein, wie wertvoll dieser Frieden in Europa ist."

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