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Insofern deutet alles auf eine nachträgliche Veränderung hin. Ungeachtet
minimaler Unterschiede in der Heraldik verhält es sich in der Tat so, dass es das
Kenzinger Stadtwappen in seiner so gestalteten Form erst seit dem Jahr 1898 gibt
- was aber wiederum einer gewissen Ironie nicht entbehrt, da sich der deutsche
Kaiser eingedenk der Gründung eines deutschen Nationalstaates auf Betreiben
von Bismarck für eine „kleindeutsche" Lösung ohne Österreich entschieden hatte.
Einer klassizistischen Ausgestaltung hätte eine prägnante Inschrift genügt, um
dem Betrachter den Sinn des Denkmals zu erschließen, wobei nicht unerwähnt
bleiben soll, dass unterhalb des Wappens tatsächlich kaum mehr lesbare - und
bei der jüngsten Renovierung überpinselte - Schriftrudimente auszumachen sind,
deren Bedeutung vorerst noch rätselhaft bleibt. Mehr noch, da das Wappen nicht
nur montiert, sondern aus dem Stein herausgearbeitet worden zu sein scheint,
müsste sogar der Brunnenstock in diese spätere Zeit datiert werden, was auch den
hervorragenden Erhaltungszustand erklären würde.
4. Schlusswort: Realistische Fakten um 1824
Ungeachtet all der Fragen gibt es aber doch auch einen realen Anhaltspunkt
dafür, warum unser Üsenbergbrunnen schwerlich im Jubiläumsjahr 1824
errichtet worden sein kann. In zumindest einem Absatz sei abschließend darauf
eingegangen.
Wie aus der überlieferten Archivalie14 deutlich hervorgeht, war die Stadt Kenzingen
im Jahre 1822 von dem ortsansässigen Bezirksamt dazu aufgefordert worden,
das marode Leitungssystem zu erneuern. Im Interesse der Gesundheit war diese
Maßnahme überfallig, da sämtliche Brunnen mit .faulem"' Wasser gespeist wurden.
Es war also für Mensch und Tier ungenießbar, wobei zu bemerken ist, dass zur
damaligen Zeit auch das für den häuslichen Gebrauch benötigte Wasser den
öffentlichen Brunnen zu entnehmen war. Valentin Spiess bringt das beiläufig in
seiner Impression sehr schön zum Ausdruck (vgl. Abb. 3): vorn am Beckenrand
zwei Knaben, einer planschend, wohl in der Absicht den anderen nass zu spritzen,
weiter rechts zwei Mägde, kurzweilig außer Haus, um Wasser zu holen - eine
willkommene Gelegenheit zum Schwätzen -, links ein Pferd, das seinen Durst stillt.
Verblüffen mag uns das Verbot, Wasser aus einem „fremden" Brunnen zu beziehen.
Nicht von ungefähr gab es deren mehrere, den Wohnquartieren zugeteilte. Sie alle
erfüllten in erster Linie einen praktischen Zweck. Eine Zierde der Stadt sollten sie
dennoch sein.
Bis zum Sommer 1823 waren „ 250. Stämme Deichelholz " gefällt. Eisenrohre hatte
sich der Magistrat „zum Besten der Stadtkaße" verbeten. Bis Weihnachten waren
„4000. Schu(h)e Baumdeicheln gebohrt", Grund genug, die Arbeitsverträge mit
den Steinhauern, Zimmerleuten und Klempnern zu schließen. Gleichwohl gingen
die Arbeiten nur gemächlich - „ schläferig " - voran. Kleinlicher Schriftverkehr
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