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Entstanden ist dieses um die Mitte des 14. Jahrhunderts, für Wonnental eine Phase
der Hochkonjunktur. Das Kloster erlangte insbesondere durch Jahrzeitstiftungen,
Schenkungen (beispielsweise zum Klostereintritt) und eigene Ankäufe
weitreichende Besitzungen und Zinseinnahmen, nicht nur in Kenzingen selbst,
sondern auch in den umliegenden Gemarkungen. Die zahlreichen Urkunden,
die aus dem 14. Jahrhundert überliefert sind, zeugen von der engen personellen
Verbundenheit Wonnentals mit den Usenbergern, der Stadt Kenzingen und den
umliegenden Orten. Eine Verbundenheit, die auch im Wonnentaler Graduale zum
Ausdruck kommt. Mit dem reich ausgestalteten Graduale wurde der finanziellen,
wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Blüte, der vermutlich auch ein personelles
Wachstum entsprach, - kurz: der Hochkonjunktur der äußeren Umstände - eine
Entsprechung auf der inneren, spirituellen Ebene geschaffen.
Das Graduale und seine Funktion im Kloster
Ein Graduale ist ein für die tägliche Liturgie zentrales Gesangsbuch, das die
von der Schola und den Solistinnen ausgeführten Messgesänge beinhaltet. Im
nach Einheitlichkeit strebenden Zisterzienserorden gehört es zu den liturgischen
Büchern, die „überall gleich sein müssen" und basiert auf dem aus der sog.
Choralreform hervorgegangenen liturgischen Corpus, der 1147 vom Generalkapitel
approbiert und für den Gesamtorden als verbindlich erklärt wurde.4 Die innere
Organisation eines Graduale verläuft nach dem Kirchenjahr, dessen Ablauf und
die Feier der einzelnen Messen in den Ecclesiastica Officio für den ganzen Orden
verbindlich geregelt ist.5 Das Kirchenjahr beginnt mit dem 1. Adventssonntag und
endet mit dem letzten Sonntag der Nachpfingstzeit.6 Der Hauptteil eines Graduale,
das Proprium Missae, ist aufgeteilt in das Temporale, den Texten für die Wochen-
und Sonntage des Weihnachts- und Osterfestkreises und der Nachpfingstzeit (Abb.
2 und 3),7 und das Sanctorale, welches die Heiligenfeste, ebenfalls nach dem
Kirchenjahr geordnet, zusammenfasst.8 In der Zusammenstellung der Psalmverse
des Temporale entwickelten sich schon früh regionale Unterschiede und ihre
Auswahl zeichnet sich durch eine relativ große Varianz von Diözese zu Diözese
und durch ordens- und klosterspezifische Eigenheiten aus.9
Das Sanctorale ist geprägt durch ordens- und lokalspezifische Heiligenfeste,10
die in zisterziensischen Klöstern mit dem Generalkalender der Heiligen, der für
jede Zisterze Gültigkeit besitzt, übereinstimmen sollte. Nahm das Generalkapitel
neue Feste in den Heiligenkalender des Ordens auf, wurden diese, sofern es noch
in Gebrauch war, im Graduale oft nachgetragen, um das Gesangsbuch auf dem
aktuellen Stand zu halten und die postulierte Einheitlichkeit zu wahren.11 Dazu
kamen in den einzelnen Klöstern mindestens zwei weitere Festtage: der Jahrestag
der eigenen Kirchenweihe und der Festtag des jeweiligen Diözesanpatrons.12
Anhand solcher Eigenheiten lassen sich Gradualien oft einer Diözese, einer
Region oder sogar einem bestimmten Kloster zuordnen - auch ohne explizite
Besitzeinträge.
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