http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2024/0109
Abgesehen von diesen lokalen Eigenheiten fixiert das zisterziensische Graduale das
liturgische Gesangsrepertoire des Ordens, sichert dessen Uniformität und nimmt
damit einen zentralen Stellenwert für den Ritus und die Ausstattung einzelner
Konvente des Ordens ein.13 Zusätzlich zu dieser pragmatischen Funktion kommt
dem Graduale auch eine zentrale mediale Bedeutung im alltäglichen spirituellen
Ritus eines Klosters zu. Diese Bedeutung spiegelt sich in der oft aufwändigen
und repräsentativen künstlerischen Ausgestaltung von Gesangsbüchern wider:
Gradualien wurden oft mit reichem Buchschmuck, Miniaturzeichnungen und
Initialen versehen, die Ausdruck des besonderen Status der jeweiligen Handschrift
und der in ihr festgehaltenen Texte und Gesänge sind.14 So ist auch das ältere aus
Wonnental überlieferte Graduale, das um die Mitte des 13. Jahrhunderts entstand,
aufwändig ausgestaltet, wenn es auch nicht an die historisierten Initialen und
„Stifterfiguren" des Wonnentaler Graduale herankommt.
Das Wonnentaler Graduale - Beschreibung und Aufbau
Wie die meisten Gradualien ist auch das Wonnentaler Graduale im Folio Format 46
x 35,5 cm und damit groß genug, dass es von mehreren Sängerinnen gleichzeitig
genutzt werden kann. Der braune Ledereinband mit Streicheisenlinien und
Beschlägen an den Ecken und in der Mitte (diese fehlen hinten an zwei Ecken
und in der Mitte) entstand wohl zeitgleich mit der Handschrift im 14. Jahrhundert
(Abb. 7). 1964 wurde der Codex restauriert, wobei der stark beschädigte Rücken
erneuert, die Schließen ersetzt und neue Pergamentspiegel angebracht wurden.15
Die Handschrift umfasst 259 Blatt und weist eine durchgehende zeitgenössische
Foliierung mit römischen Ziffern (III-CCLVI) in roter Tinte am linken oberen
Seitenrand verso auf.16 Der Haupttext ist von mehreren Händen abgefasst und weist
interlinear und am Seitenrand zahlreiche Nachträge, größtenteils aus dem 15. bis
17. Jahrhundert, von verschiedenen Händen auf. Beispielsweise wurden komplette
Notensysteme mit Text nachgetragen oder Ergänzungen und Erläuterungen zum
Abhalten der Messe angefügt.17 Die Gesänge sind in Quadratnotation notiert,
zahlreiche Stellen im Schriftraum wurden vermutlich im 16. und 17. Jahrhundert
mit Papierstreifen überklebt, auf denen Text und Notation nachgetragen bzw.
korrigiert wurden.18 Die Notation ist teilweise über mehrere Seiten hinweg in
anderer Tinte als der Text geschrieben, was vermuten lässt, dass sie von einer
anderen Hand und in einem anderen Arbeits schritt niedergeschrieben wurde. Die
Verteilung der Hände verweist darauf, dass die Handschrift in einem Skriptorium
von mehreren kundigen Schreiberinnen angefertigt bzw. abgeschrieben wurde, die
zahlreichen Nachträge lassen darauf schließen, dass die Handschrift mindestens
drei Jahrhunderte lang in Gebrauch war und der Konvent darum bemüht war, sie
auf dem aktuellen Stand zu halten.
Der Buchschmuck des Wonnentaler Graduale besteht aus 230 vierfarbigen
Fleuronneeinitialen in den Farben blau, rot, grün und lila, ohne figürlichen
108
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pforte-2024/0109