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seiner Hilfe lässt sich, zumindest in groben Zügen, die Frage beantworten,
wie sich das Gemeindeleben in der Generation unserer Eltern, Großeltern oder
Urgroßeltern gestaltete, die Frage danach, wie unsere Vorfahren ,Kirche4 und
christliche Gemeinschaft vor Ort erlebten, wie die Gottesdienstgestaltung und die
Beteiligung der Gläubigen am gottesdienstlichen Geschehen aussahen, oder wie
die Menschen die Pfarrei und den Pfarrer als Institution und Obrigkeit erlebten
und bisweilen vielleicht auch erlitten.
Einige dieser Fragen - ohne Anspruch auf Vollständigkeit - könnten
folgendermaßen lauten:
• Welche Rolle hatte der Pfarrer in der Gemeinde? War er primär Seelsorger,
oder zeigte er sich eher als Vertreter der Obrigkeit?
• War er der ,gute Hirte', der in allerlei Notlagen mit Rat und Tat half, oder war
er der autoritäre ,Zuchtmeister', vor dem jeder zitterte?
• War der Pfarrer der ,Hochwürdige Herr', der vielleicht sogar ,hoch zu Ross'
daherkam, oder war er ein ,Leutpriester', ein Mensch (fast) wie du und ich?
• Wie hat sich seine Rolle, gerade im 19. und 20. Jahrhundert und erst recht
nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil, verändert? Wie unterscheiden sich
die früheren Aufgaben der Pfarrer von den heutigen?
• Welche Konsequenzen hatte es, dass das Pfarramt eine Behörde war und
Funktionen ausübte, die heute bei der politischen Gemeinde (Standesamt)
oder beim Staat (Schulamt - der Pfarrer war ehedem Dienstvorgesetzter der
Lehrer) angesiedelt sind?
• Wie war das Verhältnis von Kirchengemeinde und politischer Gemeinde?
Spielte die Bevölkerungsstruktur eine Rolle, war es von Bedeutung, ob die
Gemeinde überwiegend katholisch oder konfessionell gemischt war? Wie
wirkte sich die politische ,Großwetterlage' aus?
Zu all diesen und zahlreichen weiteren Fragen birgt ein gut erhaltenes und
geordnetes Pfarrarchiv vielfaltige Unterlagen - aber keine fertigen Antworten,
sondern historische Quellen, die durch Auswertung und Interpretation zum
Sprechen gebracht werden können. Dazu gehören beispielsweise die ,normalen'
Akten (Sachakten) aus der Leitung und Verwaltung der Pfarrei, die in der Regel
nach Sachbetreffen angelegt und damit vergleichsweise leicht zugänglich sind
(Abb. 1 und 2).
Ebenfalls hilfreich und vergleichsweise leicht verständlich sind zumeist die
Verkündbücher9 - in Kenzingen 1819 begonnen und bis 1968 fortgesetzt10 -, die
freilich in ihrem Aussagewert höchst unterschiedlich sind. Sie können, j e nachdem,
wie der zuständige Pfarrer sie gefuhrt hat, fast den Charakter einer Pfarrchronik
annehmen, sie können sich aber auch auf das einfache Aneinanderreihen von
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