Universitätsbibliothek Freiburg i. Br., ZG 4885
Die Pforte
42., 43. und 44. Jahrgang, Jubiläumsband „775 Jahre Stadt Kenzingen“.2022-2024
Seite: 288
(PDF, 79 MB)
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Die Eltern benötigen einen Termin bei der deutschen Botschaft in Beirut, wieder
mit monatelangen Wartefristen. Das Zeitfenster schließt sich immer mehr, bis zu
dem Tag, an dem die beiden Brüder in heller Aufregung an der Haustür meines
Freundes stehen. Gestern Abend wurde der Vater in Syrien von der Botschaft
angerufen: Er könne sein Visum in Beirut in der Botschaft abholen. Der Vater
schlägt sich binnen 5 Stunden nach Beirut durch und erhält das Visum mit
Gültigkeit von 11.08.17 bis 11.08.17 - von jetzt bis heute (Abb.3). Morgen ist
nämlich der 18. Geburtstag. Verzweifelt steht der Vater um 10 Uhr am Beiruter
Flughafen und telefoniert mit seinen Söhnen: Wie komme ich nach Deutschland?
Besorgt mir ein Ticket!

Wir recherchieren im Internet, finden auch einen freien Platz in einem Flugzeug nach
Frankfurt, nur müssten wir den sofort - per Kreditkarte - bezahlen. Wir meinen, dass
es zu spät sei. Wie stellt man sicher, dass nicht die Karte belastet wird und das Ticket
verschwindet? Und wenn der Mann in Deutschland sofort wieder in ein Flugzeug
in die umgekehrte Richtung gesetzt wird? Auf der anderen Seite kann er gar nicht
so ohne weiteres zurück nach Syrien fahren, denn bei der Wiedereinreise wird
er kontrolliert und ggf. wegen „Republikflucht" verhaftet? Unverrichteter Dinge
ziehen die beiden Söhne ab. Aber in einem Reisebüro in der Großstadt schaffen sie
es doch, das Ticket zu bezahlen. Der Vater kommt gegen 22 Uhr in Frankfurt an.
Heute gilt sein Visum noch, er wird eingelassen. Erst kürzlich habe ich vor dem
Supermarkt wieder den „ Mann mit dem Visum für einen Tag " begrüßt.

Fernab der Zivilisation

Als die Flüchtlingszahlen im Jahr 2015 jede Woche steigen und steigen, mietet
der Landkreis in seiner Not das ehemalige Altenheim in Kirnhalden an und bringt
dort knapp 50 junge Männer unter. Nur zweimal am Tag können sie den Ort mit
dem Bus verlassen, und es gibt weder Fernsehempfang, Mobilfimk noch WLAN,
auch das Festnetztelefon ist abgebaut.

Das Wichtigste ist ein Dach über dem Kopf. Die Räume sind natürlich viel
besser als die in den Großunterkünften, Containern und aufblasbaren Hallen.
Einen Internetanschluss braucht man nicht zum Leben. Auch das ist richtig.
Trotzdem hatten die Flüchtlinge wahrscheinlich auf dem ganzen Fluchtweg nie
so wenig Verbindung zu ihren Verwandten und Freunden in den Kriegsgebieten
wie in jenem Tal. Wir versuchen regelmäßige Besuche, aber wir können z.B.
unseren Lehrerinnen nicht zumuten, dort allein Deutsch zu unterrichten. Später
übernachten manche nur noch unregelmäßig dort.

Ein traumatisierter Flüchtling versucht mehrfach, sich aus dem Fenster zu stürzen.
In den Wäldern versuchen die Männer verzweifelt, noch einen Balken Mobilfunk-
Bandbreite zu erhaschen. Zwei werden dabei von Zecken gebissen, bei einem ist
die beginnende Borreliose schon erkennbar. Schließlich gibt der Landkreis den
Standort auf.

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