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Fluge nie im Stiche lasse, jene, class sie sich aller Orten nur
dem Schönen und Guten hinneige und erschliesse. Die grie-
cliische Pädagogik sollte die körperlichen und geistigen Kräfte
in ihrer natürlichen Folge fördern und in diejenige "Wechselwirkung
setzen, wodurch jede Form der Humanität und jede
Thatkraft im Geiste des Gemeinwesens sich entwickeln liess.
Sie sollte die sittlichen Gedanken und Ordnungen der Gegenwart
im jungen Geschlechte fortbilden und rein bewahren;
mehr den Charakter bilden und ethisch einwirken, als Kenntnisse
häufen. Und Avas thut unsere moderne, zumal die deutsche
Pädagogik? Sie sucht frühzeitig Kenntnisse aufzuhäufen, und
bringt damit die Lehrer von vorn herein in eine schwierige
Position ihren Schülern gegenüber^ Denn das Kind will nichts
von Kenntnissen wissen, deren einstige Verwendung es noch
nicht einmal ahnt, es widerstrebt der Zucht und dem Andringen
der Sehlde. Man denke sich das Kind, das noch aufs stärkste
mit der allgemeinen Natur sympatliisirt, das noch ganz in den
sinnlichen Erscheinungen seiner Umgebung und deren Einwirkung
auf seine Phantasie aufgeht, man denke sich dies
Kind plötzlich auf die harte Schulbank versetzt und statt der
Blumen und Bäume, statt der bunten Erscheinungen der Thierwelt
, die sein ganzes Interesse in Anspruch nahmen, todten
Buchstaben und Zahlen gegenübergestellt.
Was wendet die moderne Pädagogik für Mittel an, um
ihren kleinen Pflegbefolüenen solch dürre Kost geniessbar zu
machen? Sie sucht die Welt, in der das Kind bis jetzt lebte
mit der zu verbinden, in die es eingeführt werden soll. In
der That, wenn ein früheres Jahrhundert unsre jetzigen Abcbücher
sähe, es würde uns in sittlicher Entrüstung anklagen.
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