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Kosmopoliten Wielands, dass ihre Politik jene Höhen der
Menschheit erwartet, ohne auf den einzelnen Stufen daliin zu
führen.
Treten wir nun an den Dichterfürsten Goethe heran. Man
hatte Goethe oft den Vorwurf gemacht, dass er nicht ein nationaler
Dichter geworden sei. Seine Jugendschriften zeigen
deutlich, dass er Sinn und Begriff für eine nationale Poesie
gehabt hätte, wäre ihm nur in seinem Volke ein Nationalleben
entgegengetreten. Schwer aber wird es, ihn vor dem grosseren
Vorwurfe zu retten, dass er dem handelnden Leben überhaupt
den Rücken gekehrt und seine Dichtungen von der grossen
Welt der Geschickte abgewandt habe. Er wollte, wie er sagt,
die Poesie nicht in die Gewitterwolken der politischen "Welt
herabziehen, und doch sind Homer und Shakespeare gerade
in dieser Welt gross geworden. Als Goethe aus Italien zurückkehrte
, wo er sich ganz und gar in die Kunst eingelebt und
den Sinn für die Geschichte und das praktische Leben immer
entschiedener abgelegt hatte, brach eben die Revolution in
Frankreich aus. Der Mann des Friedens wurde von dem
grellen Wechsel der Verhältnisse aufs heftigste erschüttert
und ärgerlich zog er sich in ein fernes Extrem zurück und
trieb derweilen chinesische Geschichte. 1790 erschien sodann
seine Metamorphose der Pflanze, 1791 zwei Stücke optischer
Beiträge, und als er Jahrs darauf in Begleitung des Herzogs
den Feldzug nach Frankreich mitmachte, begleiteten ihn
Fischers physikalisches Wörterbuch und seine chromatischen
Arbeiten. In solche Studien vertieft, lebte er inmitten der
grössten Bewegungen als ein Einsiedler, mit sich selbst vergnügt.
Goetke'n entging die Theilnahme an der Menschheit und
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