http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pietzsch1877/0028
ihrenr Geschicke, ohne die kein historisches oder politisches
Talent bestehen kann. Ihn interessirte nur der Mensch, die
Menschen liess er gewähren. Er gab sich ganz der Kunst
liin und wollte von der andringenden Wirkliclikeit nicht gestört
sein. Die energischen Charaktere des alten Rom waren
ihm unheimlich, von dem Römerpatriotismus wollte er nichts
wissen, selbst die Geschichte Griechenlands zog ihn wenig an.
Wie weit Goethe die praktische Schöpferkraft des Staatsmannes
unter die künstlerische setzte, dafür sind ein paar "Worte
von ihm an Eckermann ungemein bezeichnend, in denen er
sie höher zu lieben scheint. Goethe nannte nämlich im Gespräch
mit Jenem Napoleon einen der produktivsten Menschen, die je
gelebt hätten. Und als sein Jünger auf diese Worte des
Meisters grosse Augen machte, fuhr er fort: „Ja, ja, mein
Guter, man braucht nicht blos Gedichte und Schauspiele zu
machen, um produktiv zu sein; es gibt auch eine Produktivität
der Thaten und die in manchen Fällen noch um ein Bedeutendes
höher steht!!". l)as sich Abwenden Goethe's von der
handelnden Welt trägt auch die Schuld, dass er nicht recht
eigentlich zum Eigenthum der Nation geworden ist und dass
Schiller bei geringeren Dichtergaben seine Stelle neben ihm fand.
Einer der deutschesten unter den Schriftstellern Deutschlands
war unser grosser Landsmann Lessing. Er war der
eifrigste Vertreter jenes Patriotismus, der auf Selbstachtung
und Achtungswürdigkeit beruht. Diese in seinem Volke zu
erwecken und zu begründen, daran hat er sein ganzes Leben
lang gearbeitet. Er entbrannte vor Zorn über die Schmach,
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/pietzsch1877/0028