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zu entreissen. "Wer hat denn den Hülferuf der Strassburger
gehört, als sie flehend ihre Arme nach Kaiser und Reich
ausstreckten? Otto der Grosse warf an Jütlands Nordspitze
seinen Speer ins Meer, um zu zeigen, dass nur das Meer dem
deutschen Schwerte ein Ziel setze, und erkühnte sich nicht
später dasselbe unsern Brüdern in Schleswig ihre Muttersprache
zu verbieten?
Das grösste Elend, das über Deutschland kommen sollte,
brachte der 30jährige Krieg. Nicht blos weil er die Gauen
unseres Vaterlandes entvölkerte, weil -er unsre Fluren verwüstete
, das grösste Unglück war, dass er die Zerstörung der
Nation, die schon lange .inv Stillen begonnen, durch einen
feierlichen Act sanktionirte. Das Bewusstsein der Zusammengehörigkeit
schwindet unter den deutschen Stämmen. Jeder
Staat glaubt seine Einzelexistenz am meisten und besten gesichert
, wenn er sich an Einrichtungen auffaltend von dem
Nachbar unterscheidet. Theile und herrsche, das ist der traurige
aber wahre politische "Wahlspruch des 17. Jahrhunderts. An
der Spitze dieses buntscheckigen Ganzen steht zwar ein Kaiser,
aber was vermag er diesen 'selbstständigen politischen Gestaltungen
gegenüber, und was hat er, der Fremdling, für ein
Herz für das deutsche Volk? Hat es doch Kaiser gegeben, die
der deutschen Sprache nicht mächtig waren, musste doch Luther
in Worms lateinisch reden, damit ihn der deutsche Kaiser
verstehen könne. Die Gebildeten des Volkes wenden sich geistig
ab von dem Vaterland. Der deutsche Geist vertieft sich in
das Studium des klassischen Alterthums und weil er den
heimischen Herd verloren hat, wird er Kosmopolit. Je tiefer
der deutsche Aar sinkt, um so kecker erhebt sich der galli-
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