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272 Psychische Studien. I. Jahrg. (*. Heft. (Juni 1874.)
wissen, wo wir etwas finden, dessen wir bedürfen; dieses ist
der Fall mit dem Wissen, welches wir in beständigem täglichem
Gebrauche haben. Und doch, wem ist es nicht passirt,
dass er unfähig ist, sich im Drange des Augenblicks eines
Namens oder einer Redensart zu erinnern, welche ihm gewöhnlich
ganz geläufig ist, gerade so wie er oft vergisst,
wo er seine Brille, oder seinen Bleistifthalter vor erst fünf
Minuten hinlegte? Es giebt auch noch andere Vorstellungen,
von denen wir wissen, dass wir sie irgendwo uns gemerkt
haben, die wir aber nicht finden können, ohne sie mühsam
zu suchen; desgleichen, wenn wir einem Bekannten begegnen,
den wir lange Zeit nicht gesehen haben, und sein Gesicht
wieder erkennen, ohne im Stande zu sein, uns seines Namens
zu erinnern; oder wenn wir in ein fremdes Land gehen,
dessen Sprache wir einst vollkommen bemeisterten, und uns
im ersten Augenblicke ausser Stande befinden, sie zu sprechen
oder zu verstehen. Tn allen diesen Fällen lassen sich die
verlorene:i Vorstellungen ziemlich sicher wieder auffinden,
wenn wir nach ihnen suchen, indem wir jene associative Ge-
dankeureihe in Thätigkeit rufen, welche wir Rückerinnerung
nennen; oder sie treten auch von selbst und unerwartet hervor,
wenn die Anstrengung, sich daran zu erinnern, sich als vergeblich
erwiesen hat und wir das Suchen schon als hoffnungslos
aufgegeben haben. Es giebt auch noch ein anderes
Wissen, von dem wir uns nicht bewusst sind, es zu besitzen
oder jemals besessen zu haben, wie in der den Meisten von
uns bekannten ehelichen Erfahrung, bei welcher ein Gatte
seiner theuren Ehehälfte versichert (der umgekehrte Fall
ist vielleicht kaum weniger häufig), dass sie ihm niemals
von einer gewissen Sache erzählte, an die er sich ganz
gewiss erinnert haben würde, wenn sie diess gethan
hätte; und doch kann er Tage oder Wochen später zur
Erinnerung daran gebracht werden durch das zufällige Herein-
scheinen eines Lichtes in irgend einen dunklen Winkel seiner
„Einbildungskammer," dass ihm die Mittheilung wirklich gemacht
, dieselbe aber ohne eine zur Zeit genommene Notiz
davon abgewiesen wurde. Es ist, wie wir glauben, die allgemeine
Ansicht der Metaphysiker, dass keine einmal vom
Geiste vollständig erfasste Vorstellung jemals dauernd aus
ihm verschwindet; während die Physiologen nicht minder lest
sind in der Ueberzeugung, dass jeder Geistes-Akt sich in
irgend einer Veränderung im Gehirn ausprägt, welche zu
seiner Reproduction vor dem Bewusstsein in einer entfernten
Zeit führen kann, obgleich er während der ganzen Zwischenzeit
keinerlei Zeichen seines Vorhandenseins verrathen hat.
So begann ein alter Mann, welcher in seiner frühesten Jugend
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