http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1874/0415
IL Abtlieiimig.
Theoretisches und Kritisches.
Zur Kritik des Wunderbegriffes bei A, R, Wallace.
Von
Dr. Julius Frauenstädt.
Der Unglaube an Wunder beruht auf folgendem Schluss:
„Unmögliches kann nicht wirklich sein oder geschehen.
Die berichteten wunderbaren Phänomene sind unmöglich.
Folglich kann ihnen keine Realität zukommen." Auf diesen
Schluss lässt sich jede Wunderleugnimg zurückführen, wenn
gleich sich nicht jeder Wunderleugner dieses Schlusses be-
wusst wird.
Der von David Hume in seiner Abhandlung ,,über die
Wunder" (vergl. David Hume's Untersuchung in Betreff des
menschlichen Verstandes, übersetzt und erläutert von
./. H. v. Kirchmann, Abtheilung X) angeführte indische
Prinz, welcher den ersten Erzählungen über die Wirkungen
des Frostes, das Gefrieren der Flüsse, nicht glauben wollte,
verfuhr ganz nach diesem Schlüsse. Er dachte: ,,Unmögliehes
kann nicht wirklich werden; das Festwerden des Wassers,
*o dass man auf demselben gehen kann, ist unmöglich,
folglich kann es nicht wirklich stattfinden." tlume meint,
dieser indische Prinz verfuhr ganz richtig. Ich aber sage:
Richtig war allerdings sein Schluszsatz aus den beiden
Prämissen; was aber diese beiden Prämissen selbst betrifft,
so war von ihnen nur die erste richtig, dass Unmögliches
nicht wirklich werden kann, die zweite hingegen, dass
das Festwerden des Wassers unmöglich sei, war falsch.
Und dieses dürfte überhaupt der Fall bei der zweiten
Prämisse der meisten Wunderleugner sein. Sie irren nicht
in dem Obersatze, dass Unmögliches nicht wirklich sein
oder geschehen kann, sondern in dem Untersatze, dass
die berichteten, wunderbaren Erscheinungen unmöglich
seien.
Ich sage nicht, dass alle Wunderleugner sich in dem
Falle des indischen Prinzen befinden; aber die meisten.
Denn es giebt allerdings auch Wunderberichte, die nicht
blos unmöglich Scheinendes — wie das Festwerden des
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1874/0415