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206 Psychische Studien. III. Jahrg. 5. Heft. (.Mai 1876.)
genommen habe. Diese Krankheit habe ihm auch noch in
der zweiten Sphäre eine Zeitlang angehaftet, doch sei er
jetzt gänzlich davon befreit, und er habe sich jetzt das
Studium dieser Krankheit zur Aufgabe gemacht. Auch
diese Rede war in sehr gebildeter und. wie mir schien, gesuchter
Sprache; was mir aber am Meisten auffiel, war die
jedem Worte aufgeprägte französische oder italienische
Accentuirung, was im Englischen vielleicht dasselbe sein
mag. Während der Italiener sprach, zeigte sich beim Medium
etwas Heiserkeit, und mehrmaliges Räuspern wollte
den Schleim nicht lösen. Nachdem der Redner geschlossen
und der Doktor einen Augenblick gesessen hatte, stiess er
auf einmal einen so lauten scharfen Schrei aus. dass wir
alle erschrekt von unsern Stühlen auffuhren, einen Schrei,
so laut, kurz und scharf, wie ihn nur eine auf den Kriegs-
ruf geübte Kehle eines Indianers hervorbringen kann.
Während wir das Medium noch erschreckt und erstaunt
ansahen, meldete der Schäfer II ans, der Indianer sei nur
einen Augenblick da gewesen, um dem Jungen die „Strossel"
zu reinigen. Und nun kam ein Original, der Wiener Jud<\
Er schien eine Art lachender Philosoph zu ^ein, dessen
eigene Erfahrungen im Erdenleben ihn vollkommen zu befähigen
schienen, die Gebrechen der Gesellschaft mit beis-
sender Satyre zu geissein. Besonders das Unterthanen-Ver-
hältniss der Juden in den oestreichischen Staaten schien
ihm ein Wurm am Herzen. Er schien jedoch den höhern
Ständen angehört zu haben, denn er zeigte sich so gewandt
in seinem Diskurs, in welchem er eine Kenntniss so mannigfacher
Wissenschaften und europäischer Y erhältnisse zu
verflechten wusste, dass er den Eindruck eines ausserordentlichen
Menschen machte. Zuweilen gefiel er sich im sogenannten
„Jüdeln," was denn keinen Zweifel über seine Abstammung
Hess. Der letzte Redner war angeblich Doktor
Halmemann. Das Hauptsächlichste, was er uns sagte, war,
dass in Kurzem eine Entdeckung gemacht würde, vor der
die Wissenschaft staunend stehen werde. Das war im Jahre
1868- Ob damit die seitdem sich so ausserordentlich entwickelnde
Thatsache der spirituellen Materialisation gemeint
war? Drei Stunden war der Doktor ununterbrochen im
Trancezustand gewesen, als ihn das Mädchen wieder durch
magnetische Striche zu sich brachte. Von dem Voi gefallenen
hatte er nicht das geringste Bewusstsein. Mein Freund
und ich aber hatten den merkwürdigsten Abend unsres
Lebens verlebt, und es bedurfte nicht des Doktors späterer
Erzählungen von seinem persönlichen Verkehr mit den
Geistern im wachenden Zustande, um unsere Ungeduld, der
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