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256 Psychische Studien. XXXVII. Jahrg. 5. Heft. (Mai 1910.)
Ein solcher vollgültig zwingender Beweis aber ist m. E.
erbracht, wenn solche, allen unseren „irdischen* Vorstellungen
widersprechende Wahrnehmungen odei Empfindungen
in oder bei vollem Tagesbewußtsein gemacht werden; z. B.
das Empfinden und Wahrnehmen eines gleichzeitig unendlich
großen und unendlich kleinen Dinges, — das wäre also
etwa die Andeutung der Möglichkeit dimensional anders
gearteter Verhältnisse in Zeit und Raum, als wir sie in
unserer irdischen Anschauungsweise vorfinden. Oder Wahrnehmungen
von Verhältnissen, die „offensichtlich* nicht in
unserer „irdischen* Erscheinungswelt angegeben sind, wie
z. B. das sich selbst außerhalb seines eigenen Körpers fühlen,
oder den eigenen Körper von einem außerhalb ihm selbst
gelegenen Punkte aus sehen, und die dennoch mit voller
Deutlichkeit und Intensität bei vollstem Tagesbewußtsein
zugleich mit den normalen Wahrnehmungen gemacht werden
. In solchen Fällen ist die subjektive Kontinuität vom
Ursprung dieser Wahrnehmung zum sogen. Tagesbewußtsein
nicht unterbrochen, und der Wahrnehmende kann sich jederzeit
darüber Rechenschaft ablegen, wie und was er gesehen
und empfunden hat, — mit einem Wort, er kann ein fest
umrissenes Bild dieser Wahrnehmung liefern, das er jederzeit
mit dem Gedächtnis auf seine Richtigkeit zu prüfen
imstande ist. Damit ist aber die Möglichkeit der wissenschaftlichen
Behandlung dieser Dinge gegeben. Dinge, die
für den, der sie noch nicht an sich selbst wahrgenommen
oder erfahren hat, völlig außerhalb alles Möglichen zu liegen
scheinen. Ich will noch hinzufügen, daß ich hier also zum
Teil nicht von Wahrnehmungen von solchen Dingen spreche,
wie es etwa objektive Geistererscheinungen sind, die von
hellsehenden Personen leichter und eher gesehen werden,
als von den übrigen Menschen. In allen solchen Fällen
nimmt der „Hellseher* die Erscheinung offenbar, soviel ich
weiß, mit seinen äußeren Sinnen wahr, die nur feiner organisiert
sind, als bei den übrigen Menschen. Ich spreche
hier zum Teil von subjektiven Bewußtseins- und Empfin-
dungszuständen und Wahrnehmungen, die offenbar nicht
mit den äußeren Sinnen, sondern mit dem sogen, inneren
Sinn gemacht wurden, während gleichzeitig die äußeren
Sinne normal funktionierten.
Da nun eine einzige solche Beobachtung auf Irrtum
des Beobachtenden beruhen und auch auf ihre Glaubwürdigkeit
hin angegriffen werden kann, so glaube ich im Interesse
der Transzendentalforschung gehandelt zu haben, wenn ich
mehrere solche Beobachtungen zu sammeln suchte, um zu
zeigen, daß es sich hier um ganz „reale*, teils transzen-
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