http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1912/0119
Soll man an Prophezeiungen glauben? Ä5
stungen gehört zu den* schwierigsten und deljjptesf*i Aufgaben
, die dem menschlichen "Geist gestellt sind. •
Zukünftiger Forschung bleibt die Lösung des mit den
Entwicklungsgesetzen des menschlichen Organismus eng t^E* —
knüpften medialen Problems vorbehalten.*
Soll man an Prophezeiungen
glauben?*)
Das Ende des Jahres erfreut sich einer besonderen
Blüte, die die blasse Glut der Sonnenwende zur Entfaltung
bringt, der Blüte der Almanache. Die Weissager — so
schreibt Dr. Maxwell in einem Artikel des ÄMatina —
waren die ersten Kunden Gutenberg's; die ersten gedruckten
Weissagungen erschienen in Deutschland, Italien
und Frankreich zu Beginn des 15. Jahrhunderts. Die
künftigen Ereignisse wurden von hervorragenden Astrologen
angekündigt, von denen Jean de Moreggio einer
der berühmtesten ist. Man denke, welche Erregung im
sechzehnten Jahrhundert die Prophezeiung des nahen Endes
der Welt wachrief! Die Voraussage erweckte unter den
Weissagern lebhafte Kontroversen.
Die Diskussion iät vielleicht unnötig, denn man kann
keine wichtige Prophezeiung nennen, deren Verwirklichung
in bestimmter Form festgestellt worden ist. Man findet
dennoch sonderbare Zusammentreffen: Xostradamus und die
Revolution von 1789, William Lilly und den Brand von
London im Jahre 1666. Der Sinn der Prophezeiungen ergab
sich gewöhnlich erst nach ihrer Verwirklichung, was
für die menschliche Neugierde entmutigend wäre, würde
diese nicht unermüdlich sein; sie ähnelt dem Sisyphus der
Sage, den der. fortwährende Sturz des Felsblocks nicht
*) Zu diesem der Wiener Zeitung „Die Zeit" (Nr. 3328 vom
23. XII. 11) entlehnten Artikel schreibt uns der freundliche Einsender
, Herr Alois Kaindl, dat. Linz a. D., 26» XII. 11: „Der
Autor bemüht sieh , diesem Gegenstand mit Objektivität näher zu
treten. Sein Bestreben, eine rationelle Deutung der Divin ation
zu gewinnen, muß allerdings als erfolglos bezeichnet werden. Es
bringt uns der Lösung dieses Problems um keinen Schritt näher,
wenn man die Divination auf Intuition zurückführt. Letztere,
im rationalistischen Verstände, ist zu einer Erklärung derartiger
Erscheinungen nicht ausreichend; faßt man sie aber im mystischen
Sinne auf, so hieße das, Unbekanntes auf Unbekanntes zurückführen
. Die Fähigkeit, sich den noch nicht abgelaufenen Teil von
Kausalketten zu ergänzen und sich anschaulich zu vergegenwärtigen,
läßt sich offenbar aus den normalen Anlagen des Menschen nicht
erklären." — Red.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/psychische_studien1912/0119