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192 Psychische Studien. XLIJI. Jabrg. 4. Heft. (April 1916.)
Skorpione sprechen, soweit es sich um einen völlig überlegten
Vorgang handelt. Auch das Rätsel des Zuges zum Licht der
Nachtinsekten, das Flattern der Insekten in die tödliche Flamme
einer Lampe, wird in seinen Ursachen widersprechend beurteilt.
Die Anhänger der tierischen Selbstmordtheorie sehen darin meist
eine beabsichtigte Tötung, während z. B. der Forscher Marschall
nur von einer hypnotischen Wirkung der Lichtquelle auf die zu-
sammengestzten Fazettenaugen der Insekten spricht. Die bekannte
Erscheinung des ungestümen Anfliegens der Zugvögel an Leuchttürme
wird von vielen Seiten ebenfalls auf Selbstmordabsichten
zurückgeführt.
Auch die an unbedingte Freiheit gewöhnten Tiere, wie gewisse
Vögel und Schlangen, die in der Gefangenschaft zu Tode
hungern, werden vielfach bewußte Selbstmörder genannt. Marschall
sucht diese Annahme zu widerlegen, indem er erklärt, daß
diese Tiere Sklaven ihrer Gewohnheit sind und aus dieser Ursache
zugrunde gehen.
Einige Fälle von zweifelfrei erscheinendem Selbstmord von
Tieren führte der Forscher Zell an: „In den Reisen und Abenteuern
des „Monsieur Violet", deren Wahrheit Kapitän Marryat
verbürgt, wird von Pferden erzählt, die, von anderen tyrannisiert
und von der ganzen Herde ausgestoßen, sich den Schädel an
Bäumen zerstießen. Ferner von Eichhörnchen, die zuweilen eines
unter ihrer Zahl verfolgen, bis es sich selbst tötet. Ein Neufundländerhund
, seit einiger Zeit sehr traurig, machte mehrmals den
Versuch, sich zu ertränken, wurde aber immer wieder herausgezogen
, bis ihm sein Vorhaben zuletzt doch gelang. Bekannter
und verbürgter ist folgender Bericht. Der Trompeter Lamont im
7. französischen Husarenregiment hatte ein weißes Roß, das er
wie einen Kameraden liebte und das ihm wohl zehnmal das Leben
gerettet hatte. Er sorgte aber auch für dieses Tier fast mehr als
für sich selbst. In einem Treffen an der Donau 1809 wurde
Lamont durch eine Kugel getötet. Sein treues Pferd blieb bei
ihm stehen und verteidigte die Leiche, als Soldaten sie aufheben
wollten, mit Gebiß und Huf. Der Kaiser Napoleon bemerkte das
Getümmel und das Pferd und befahl es in Ruhe zu lassen: der
nächststehende französische Posten sollte am nächsten Morgen berichten
, was vorgegangen sei. General Berthier übergab am
andern Tage den Rapport: das Pferd sei die Nächt beim Leichnam
geblieben. Mit Tagesanbruch habe man bemerkt, daß es ihn
mehrmals umgewälzt und vom Kopfe bis zu den Füßen berochen
habe. Es habe nun^wohl erkannt, daß sein Herr tot sei, dumpf
gewiehert, sei dann der Donau zugeeilt, wo es sich hineinstürzte
und ertrank."
(„Hamburger Correspondent", B. Nr. 18 vom II. Jan. 16.)
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