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Ludwig: Ein Spukfall.
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in den Keller gesperrt worden. Aus einem Brief des verstorbenen Pfarrers
Niebier von Mörsach geht hervor, daß das Mädchen bei der gerichtlichen
Verhandlung manchen Schabernack als von ihm ausgehend zugab
, z. B. daß es Bücher auf den Korridor warf, der Haushälterin eine
Ziegelplatte auf den Rücken, daß es Zettelchen schrieb mit der Aufschrift
: „Altes Luder, verreckst du nicht bald", und sie ins Zimmer legte.
Andere Beschuldigungen dagegen habe es hartnäckig geleugnet. Die
Augsburger Abendzeitung brachte arn 7. Juni 1899 darüber folgenden
Bericht:
„Der mysteriöse Geisterspuk in Grönheim, weicher damals die Gemüter
der ganzen Umgebung in Aufregung brachte, fand heute vor dem
hiesigen Amtsgerichte eine recht natürliche Aufklärung. Das zwölfjährige
Mädchen Fanny Poll, Nichte der Pfarrersköchin, war wegen
groben Unfugs angeklagt. Sie habe Briefe geschrieben, Bücher fliegen
lassen u. a. Einen Teil davon gibt sie zu als von ihr getan. Obwohl sie
zu weiteren Geständnissen nicht zu bewegen war, hat das Gericht angenommen
, daß sie den ganzen Spuk veranstaltet habe. Das Mädchen wurde
infolgedessen auch für schuldig befunden, jedoch in Rücksicht auf sein
Alter freigesprochen. Der Amtsanwält erklärte, daß er von dem Ausgang
der heutigen Verhandlung keine andere Erwartung hatte, daß er
aber im Interesse der Aufklärung und der Beruhigung des Volkes in
unserer Gegend öffentliche Anklage erhob, denn leider gebe es jetzt, an
der Neige dieses aufgeklärten Jahrhunderts, noch solche Menschen, die
allen Ernstes an solche Undinge glauben und diesem Aberglauben soll
und muß auf solche Weise gesteuert werden. Das Mädel aber hat entschieden
Talent und dürfte in spateren Jahren für Schichtl und ähnliche
Geistertheater und Zauberer eine gute Akquisition werden."
1906 kam das Mädchen wegen Gewerbsunzucht in die Strafanstalt
Sulzbach. Hier befragte sie der Anstaltsgeistliche Michael Müller, ob
sie den Spuk in Grönheim selbst in Szene gesetzt habe, was sie bejahte.
An Lungenschwindsucht erkrankt fand sie noch im November 1906
Aufnahme in der Rettungsanstalt Ettmannsdorf, kam 1907 in ihre Heimat
zu den Eltern, nachdem ihr der Rest der Strafe erlassen war und
starb zu Gerolfingen am 28. März 1908, nachdem sie vorher reuevoll
und bußfertig gebeichtet hatte.
Soweit die Aufzeichnungen im Pfarrarchiv Grönheim. Wie soll
man nun diesen Fall beurteilen? Nach dem Bericht der Augsihurger
Abendzeitung und dem Spruch des Gerichts hätte es sich um reinen
Schwindel eines verdorbenen boshaften Mädchens gehandelt, und die
Aufklärung triumphierte wieder einmal über den Aberglauben. Aber
ist dies wirklich der Weisheit letzter Schluß? Wir werden es verneinen
müssen. Gewiß ist, daß boshafter Schabernack gespielt wurde und das
Kind war förmlich disponiert hierzu. Heißt es doch in Schulzeugnissen
von ihr, sie sei sehr unruhig, lügenhaft, flatterhaft, schwatzhaft, boshaft
und unverzeihlich unaufmerksam. Also eine sittlich minderwertige
Person. Es ist daher in Anbetracht ihres Charakters von vornherein:
wahrscheinlich, daß sie die Wegschaffung der Friedhoferde in Cron-
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