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Seiling: Okkultes im Leben Richard Wagners.
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deutlich und volltönend begann, ich von der fast erschreckenden Wirkung
, welche meine eigene Sprache, ihr Klang und ihr Akzent auf mich
selbst machten, für einen Augenblick so stark affiziert wurde, daß ich
in völliger Entrücktheit, wie ich mich hörte, so auch der atemlos
lauschenden Menge gegenüber mich zu seh e n glaubte, und, indem ich
mich mir so objektivierte, völlig in eine gespannte Erwartung des fesselnden
Vorganges geriet, welcher sich vor mir zutragen sollte, als ob
ich gar nicht derselbe wäre, der andererseits hier stehe und zu sprechen
habe. Nicht die geringste Bangigkeit oder auch nur Zerstreutheit kam
mir hierbei an; nur entstand nach einem geeigneten Absatz eine zu unverhältnismäßig
lange Pause, daß, wer mich mit sinnend entrücktem
Blicke dastehen sah, nicht wußte, was er von mir denken sollte. Erst
mein eigenes längeres Schweigen und die lautlose Stille um mich herum
erinnerten mich daran, daß ich hier nicht zu hören, sondern zu sprechen
hätte; sofort trat ich wieder ein und sprach meine Rede mit fließendem
Ausdruck bis ans Ende.'* Allein Anschein nach hat hier ein vorübergehendes
Austreten des Astralieibes (die Thcosophen nennen ihn Aether-
leib) stattgefunden.*)
Im gleichen Buche schreibt Wagner: „Nachdem er (sein Freund
Häckel) lange meinen Kopf betrachtet, schwor er, ich sei nicht umzubringen
, ich habe etwas an mir; was in meinem Blute liegen müsse, Um
sich verständlich zu machen, nannte er es die eigentliche Hitze meiner
Natur; er glaubte, daß die Hitze verzehrend für einen anderen sein
könne, ich aber bei ihrem heißesten Erglühen mich jedenfalls erst recht
wohl fühlen müßte: denn er habe mich mehrmals vollständig leuchten
gesehen/4 Hier hat es sich zweifellos um ein starkes Hervortreten der
sogenannten, sonst nur für den Hellseher sichtbaren Aura gehandelt,
in welcher, nebenbei bemerkt der Heiligenschein seine Erklärung findet.
Endlich berichtet Julie Kniese in einer Studie über Verklärung im
„Zentralblatt für Okkultismus" (Sept. 1918) über das folgende, höchst
merkwürdige Ereignis. Wagner habe 1882 nach der letzten Parsifal-
Aufführung seine Freunde und Getreuen noch einmal um sich versammelt
, um einige Abschiedsworte an sie zu richten. Während er, auf
einem Podium etwas erhöht stehend, zu den Anwesenden sprach, sei
plötzlich eine seltsame Veränderung mit ihm vorgegangen. Sein Körper
sei, obwohl die Gestalt als solche blieb, wie sie war, hell und durchsichtig
geworden, sodaß die hinter ihm befindlichen Gegenstände ganz
klar und deutlich zu sehen waren. Diese Erscheinung habe nicht nur
Augenblicke gedauert, sondern angehalten, als Wagner Abschied nehmend
durch die Reihen der Anwesenden ging. Von diesen habe nachher
niemand mehr Wagner, der. am i3. Februar i883 in Venedig starb,
lebend gesehen. — Das Vorkommnis ist von so außerordentlicher Art,
*) Diese Deutung erscheint sehr weitgehend. Man kann den Vorgang
unschwer als ein durch Begeisterung und Hingerissenheit verursachtes
Vergessen seiner selbst ansehen, ohne etwas „Okkultes" darin zu suchen.
Red.
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