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der Ampulle erreicht haben, treten sie in das durchsichtige, sehr feste Bindegewebe derselben ein und verlaufen
in die dünne Wand eingebettet. Die breiten markhaltigen Primitivfasern, denen hier nirgends Granglienzellen
beigegeben waren, treten fächerförmig aus einander und gelangen zur Mitte der Ampulle, die Hälfte des grössten
Kreises derselben umfassend. Ihr entsprechend befindet sich an der inneren Wand der Ampulle ein leistenförmiger
Vorsprung, welchen M. Schultze die »Crista acustica» genannt hat. Diese Crista verbreitert sich knopfförmig nach
den beiden Enden. Alle Nervenfasern senken sich in dieselbe ein; kurz ehe sie die Grenze des Bindegewebes
erreichen, verlieren sie ihr Mark und verschmälern sich bis auf die Axencylinder, welche dann die homogene, gegen
das Epithel scharf abgesetzte Bindegewebslage durchbrechen und nackt in den hier sehr dicken Epithelialüberzug
eindringen, um sich mehrfach in feine Aestchen zu theilen. Nach Entfernung des Epithels kann man an günstig
erhärteten Präparaten einen Wald von frei aus dem Bindegewebe hervorragenden, sich theilenden Axencylinclern in
unmittelbarer Fortsetzung der markhaltigen Fasern finden. Das Epithel der Crista ist mehrschichtig und besteht
aus drei Arten von Zellen, nämlich: die Basalzellen mit breiter, kernführender Basis an der Bindegewebslage
und mit nach oben zugespitzt auslaufendem, peripherischem Ausläufer; die an der Oberfläche stehenden Cylinder-
epithelialZeilen, mit rundem Querschnitt, grossem, rundem Kern und nach der Erhärtung stark körnigem Inhalt, und
endlich die viel zahlreicheren Fadenzellen mit zwei feinen Ausläufern, einem peripherischen, etwas dickeren und
einem centralen, verschwindend feinen, welcher zwischen den Cylinderepithelialzellen zu Tage tritt; die Fadenzellen
schienen Max Schultze ihrer Gestalt und Anordnung nach die grösste Aehnlichkeit mit den Riechzellen der Regio
olfactoria zu haben, warum er sie am ehesten für die Nervenendigungen halten wollte, um so mehr, da er sie,
obwohl nicht in Zusammenhang, doch in inniger Berührung mit Nervenfasern gefunden hatte. Ausserdem erkannte
er auf der Crista acustica frei vom Epithel ausragende, dicht und ganz gerade neben einander stehende, äusserst
feine, steife Haare, welche bei Rochen eine Länge bis zu 0,04"' P. hatten; diese an der Basis mit messbarer Dicke
versehenen Haare fand er in die Epitheloberfläche eingepflanzt, er konnte aber keinen sicheren Zusammenhang mit
den Fadenzellen und noch weniger mit den anderen Zellen erkennen. Bei Wasserzusatz sah er indessen das Haar in
einen vorher nicht sichtbaren, zwischen den übrigen Elementen eingebetteten, stark lichtbrechenden, wurstförmigen,
später birnförmig werdenden, kernlosen Körper von zweifelhafter Natur übergehen. So fand er die Cristse der Ampullen
gebaut. In den beiden Otolithensäcken fand er an den Nervenausbreitungen ein mehrschichtiges Epithel von
ganz derselben Zusammensetzung; es waren aber hier bei den Rochen solche Haare nur an ganz beschränkten Stellen
vorhanden. Das Nervenepithel endigt nach den Seiten hin mit scharfer Grenze und setzt sich dort in ein gewöhnliches
Plattenepithel fort, welches bei den Rochen nicht, wie bei Knochenfischen (Hecht), auch Cylinderzellen
mit sternförmigem Querschnitt enthält.
Hasse hat, theils auf eigene Untersuchungen theils auf die seiner Vorgänger gestützt, in seiner vergleichenden
Morphologie des Gehörorgans der Wirbelthiere1 gelegentlich auch das membranöse Gehörlabyrinth der Rochen
besprochen. Bei diesem erkannte er zwar mehrere wichtige Lageverhältnisse als ungefähr dieselben wie bei dem
der Haie und der Knochenfische; bei dem der Rochen vereinigen sich aber der sagittale und der frontale Bogengang
nicht zu einer Commissur, und die Verbindungsröhre der frontalen Ampulle mündet nicht in das hintere Ende
des Utriculus, sondern der frontale Bogengang öffnet sich mit seiner Verbindungsröhre in den hinteren Theil des
Sacculus; der sagittale Bogengang aber mündet, nach Aufnahme des horizontalen, in den Utriculus. Ferner com-
municiren die Pars superior und inferior im erwachsenen Zustande indirect mit einander durch zwei Röhren, die
trichterförmig aus ihrer Innenwand emporziehen und die das untere Ende des Ductus endolymphaticus darstellen.
Hasse sucht die Eigentümlichkeiten am Gehörlabyrinth des Rochen durch die Annahme zu erklären, dass die frühzeitige
, vor der Bildung der Bogengänge, der Ampullen, der Verbindungsröhre der frontalen Ampulle und des Utriculus
vor sich gehende Abschnürung des Labyrinthbläschens in eine Pars superior und inferior nicht wie bei den Knochenfischen
, den Haien und übrigen Wirbelthieren in transverseller Richtung, sondern mehr senkrecht vor sich zu gehen
scheint, so dass eine vordere-obere und eine hintere-untere Abtheilung entsteht. Hierdurch erhalte die Verschiedenheit
im Zusammenhang der einzelnen Theile ihre Erklärung. Ein Verhältniss führt dagegen Hasse als den
Gehörorganen der Rochen und Haie gemeinsam an, nämlich den schon oben erwähnten Mangel der Nervenausbreitung
, welche ich unter dem Namen »Pars basilaris Cochlea?» aufgeführt habe. Betreffs des Ductus endolymphaticus
1 C. Hasse, Die vergleichende Morphologie und Histologie des häutigen Gehörorganes der Wirbelthiere, nebst Bemerkungen zur vergleichenden
Physiologie. Supplement zu den Anatomischen Studien Bd I, herausg. v. D:r C. Hasse. Leipzig 1873.
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