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ist. Bei den Haien und Bochen ist eine Lagena als besondere, taschenförmige Ausstülpung des Sacculus entwickelt;
was aber die Papilla acustica anbelangt, so scheint sie mir bei den Haien noch kaum, bei den Eochen aber deutlicher
von der Macula ac. sacculi abgetrennt zu sein.
Endlich möchte ich, ehe ich die Elasmobranchier verlasse, die Gehörkapsel hier kurz besprechen; bei den
Haien und Eochen ist diese bekanntlich durch eine knorpelige Scheidewand von der Gehirnhöhle abgetrennt; bei
der Chimsera liegt aber das interessante Yerhältniss vor, dass die Gehörkapsel nach der Gehirnhöhle hin keine
solche knorpelige Scheidewand besitzt, sondern ganz offen in diese Höhle mündet, so dass das membranöse Gehörorgan
hier nur durch die häutige Dura mater bedeckt ist.
Gehen wir jetzt zu der merkwürdigen Abtheilung der Dipnoi über, so treffen wir hier ebenfalls sehr interessante
Verhältnisse, welche gerade durch diejenigen bei den Elasmobranchiern und vorzugsweise der Chimsera ihre
Erläuterung finden. Auch hier, bei Ceratodus sowohl als bei Protopterus, sehen wir den besonders bei dem letzteren
Thiere kolossal entwickelten Becessus utriculi weder mit dem Utriculus noch mit der vorderen und der äusseren
Ampulle in directer Verbindung stehen, sondern statt dessen durch einen oval gestalteten Canalis recessu-
saccularis mit dem Sacculus und nur durch dessen Vermittelung, durch den ebenfalls ovalen Canalis utriculo-saccularis,
mit dem eigentlichen Utriculus verbunden. Die vordere und die äussere Ampulle münden, wie bei den Elasmobranchiern
, am vorderen Ende des Utriculus, zum Theil mittelst ausgezogener Anfangsröhre. Die eine und ungeteilte
Macula ac. neglecta befindet sich bei Protopterus (und wahrscheinlich auch bei Ceratodus) am Boden des
Utriculus eine kleine Strecke hinter dem Canalis utriculo-saccularis. Eine besondere Lagena Cochleae ist nicht entwickelt
, dagegen ist eine abgetrennte Papilla ac. lagen® an der hinteren-inneren Sacculuswand vorhanden. Der
Ductus endolymphaticus wurde nicht angetroffen, gewiss aber steigt ein solcher nicht, wie bei den Elasmobranchiern,
bis durch die Kopfhaut empor. Der Utriculus und sein Sinus superior sind nicht, wie bei den Plagiostomen, in
verticaler Eichtling gespalten. Ein langer Sinus utric. posterior (Verbindungsröhre der hinteren Ampulle) ist vorhanden
. Die knorpelige Gehörkapsel ist, wie bei Chimsera, den Ganoiden und Teleostiern, gegen die Gehirnhöhle
hin offen. Die Otolithen bestehen aus einer Ansammlung feiner, getrennter Kristalle.
Das Gehörorgan der Dipnoi unterscheidet sich deswegen in sehr wichtigen Beziehungen von dem der Ganoiden
(Acipenser sowohl als Lepidosteus und Amia) und es steht in der That dem der Elasmobranchier, oder eigentlich
der Holocephalen (Chimsera), nahe. Es scheint, als ob die Dipnoi sowohl als die Holocephalen einem gemeinsamen
, aber später getheilten Seitenzweige der phylogenetischen »Hauptlinie» angehört haben. Dem Bau des
Gehörorgans nach lassen sich dagegen die Dipnoi keineswegs, wie man in jüngerer Zeit versucht hat, mit den
Ganoiden in eine Gruppe zusammenführen.
In Betreff der'höchst wichtigen Frage, welcher Seitenzweig, ob der der Ganoiden und Teleostier oder der der
Elasmobranchier und Dipnoi, sich zuerst von der »Hauptlinie» abgetrennt habe, lässt sich nicht ohne Weiteres eine
Entscheidung finden. Im ganzen stehen sie oder richtiger ihre resp. Vorläufer, die Proganoiden und die Prose-
lachier, in Betreff der Entwicklung des Gehörorgans so ziemlich auf derselben Stufe. Ich werde deswegen hier
keinen Versuch machen, diese Frage bestimmt zu beantworten. Etwas merkwürdig und schwerverständlich ist das
erwähnte Verhalten der Lagena Cochleae, welche sich weder bei Acipenser noch bei Chinwa abgegrenzt zeigt, bei den
Teleostiern und Plagiostomen aber als taschenförmige Ausstülpung auftritt; noch eigentümlicher ist es aber, dass
bei Chima^ra die Papilla ac. lagen« noch mit der Macula ac. sacculi zusammenhängt, bei den Plagiostomen (Eochen)
aber sowohl als bei den Dipnoi, in Uebereinstimmung mit dem Verhalten bei den Ganoiden und Teleostiern als selbständige
Nervenendstelle vorkommt. Es lassen sich für jetzt diese Umstände nur in der Weise erklären, dass eine
einmal entstandene Partie des Gehörorgans ausnahmsweise wieder zurücktreten und bei einigen Thieren gewissermassen
latent liegen könne, um später bei anderen Thieren noch einmal hervorzutreten und sich weiter zu entwickeln.
Zwischen den Eischen und den Amphibien findet sich natürlicher Weise auch in Betreff des Gehörorgans
eine nicht leicht auszufüllende Kluft; diese ist jedoch aber nicht so gross wie man sich von vornherein vorstellen
dürfte. Wenn man die niedrigsten Urodelen, z. Bsp. das Gehörorgan des Proteus, Menobranchus, Amphiuma
berücksichtigt, so findet man dasselbe im ganzen von einer Gestalt, die nicht wenig an dasjenige des Acipenser
erinnert, obwohl bei den Urodelen eine abgetrennte Lagena Cochlea? vorhanden ist und auch bei näherer Betrachtung
in mehreren wichtigen Einzelheiten Unterschiede vorliegen. Am ehesten dürften diese niedrigen Urodelen
dieselben Eigenschaften wie die uns unzugänglichen Proganoiden haben; die vielen zwischenliegenden Glieder
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