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buli und Scala tympani sprechen. Bei den Schildkröten herrscht nun im Yerhältniss zu den Schlangen und
Eidechsen der Unterschied, dass die Wandung des Ductus perilymphaticus sich in dem Cavum perilymphaticum als
Membran desselben ausdehnt. Wenn der Ductus nun durch das Foramen rotundum in den Eecessus scala? tympani
hineingetreten ist, bekommt er eine periostale Hülle und schwillt nach unten vom Glossopharyngeus und Vagus,
nach hinten von der Paukenhöhlenschleimhaut, nach vorne von dem die Hinterwand des Eecessus bildenden Os
occipitale laterale und nach oben von der Vena jugularis posterior s. interna zu einem elliptischen, ausserordentlich
zartwandigen, mit Pflasterepithel bekleideten Sacke, dem Saccus perilymphaticus, an. Dieser besitzt in der etwas
nach vorne-unten-aussen gelegenen Spitze eine nadelstichgrosse Oeffnung, die wahrscheinlich den Eingang in ein Lymph-
gefäss bildet. Dann sendet der Saccus perilymphaticus auch nach innen durch das Foramen jugulare unter dem Vagus
und Glossopharyngeus eine Fortsetzung in den Schädelraum, die trichterförmig sich erweiternd in die Hülle des
Gehirns übergeht. Somit kommt auch bei diesen Thieren eine Verbindung des Cavum perilymphaticum mit dem
Cavum epicerebrale zu Stande. Wo bleibt nun, da bei den Schildkröten ein Cavum perilymphaticum externum
zwischen dem Periost und der perilymphatischen Membran und ein internum zwischen dieser und der Oberfläche des
häutigen Gehörorgans die Perilymphe des externum ab? Wahrscheinlich strömt sie durch Lücken der perilymphatischen
Membran und namentlich auch nach unten über die Spitze der Schnecke hinaus. Die von Hasse früher
für Apertura aquseductus Cochleae gehaltene Oeffnung hält nach seiner späteren Mittheilung nur ein Gefäss.
In seiner zusammenfassenden Arbeit über das häutige Gehörorgan der Wirbelthiere1 bespricht Hasse auch
das Gehörorgan und vor Allem die Schnecke der Schildkröten im Verhältniss zu dem der übrigen Eeptilien und der
anderen Wirbelthierklassen. Die Schnecke der Schildkröten, sagt er, bietet ein von der der Schlangen und Eidechsen
anderes, dem Typus der am höchsten stehenden Wirbelthiere genähertes Bild dar. Was zunächst das Verhältniss
zum Sacculus betrifft, so finden wir die Schnecke noch selbständiger von der hinteren Sackwand abwärts ragen
und grösser als bei den Eidechsen; allein die Communication ist wieder weiter geworden. Die Hauptveränderung
an der Schnecke besteht darin, dass die bei den anderen Eeptilien vorkommende Trennungsleiste zwischen der hinteren
und vorderen Abtheilung der Pars basilaris und dem Schneckenanfangstheile verschwunden und somit die
beiden Abtheilungen zu einer vereinigt sind. Gleichzeitig dehnt sich aber die Membrana basilaris über den An-
fangstheil aus, und die Macula der Pars basilaris, die bei den niederen Eeptilien von der des Anfangstheils getrennt
war, vereinigt sich mit dieser und somit auch mit der der Lagena. Die zur Lagena gehenden Nervenfasern bekommen
eine gewisse Selbständigkeit und treten zu einem Eamus lagena? zusammen. So besteht bei den Schildkröten
die Schnecke nur aus der mit dem Sacklumen vorne oben durch eine weite Oeffnung communicirenden Pars
basilaris und einer knorpeligen, geschlossenen Lagena. Die Lagena ist etwas grösser geworden und trägt die Nervenausbreitung
an der Innenwand. Die Pars basilaris, ebenfalls länger geworden, besitzt wieder die Gestalt eines
Knorpelrahmens, der oben bogenförmig geschlossen (Vorhofsblindsack) unten in die Innenwand der Lagena übergeht
. Die zwischen dem vorderen und hinteren Knorpel ausgespannte Membrana basilaris ist ebenfalls länger und
breiter geworden. Die Macula ist am Nervenknorpel und dem anschliessenden Drittel der Basilarmembran belegen.
Die Fortsetzung der Sackaussenwand, die zarte M. Eeissneri, spannt sich über die Pars basilaris aussen hinüber und
findet hinten am Ligamentum spirale, unten an dem oberen Eande der Aussenwand der Lagena ihre Anheftung.
Ich2 fand bei der Untersuchung mehrerer Eepräsentanten der Schildkröten (Trionyx, Chelodina, Chelydra,
Emys) an der Wand des Utriculusbodens unweit des Canalis utriculo-saccularis eine kleine, mit einem von dem
Zweige der frontalen Ampulle sich abtrennenden Nervenzweige versehene Nerven endsteile, welche sich der von mir
früher bei den Fischen gefundenen und als Papilla basilaris bezeichneten Endstelle homolog zeigte und ebenfalls
der von Deiters und Hasse (Anfangstheil der Schnecke, Hasse) bei den Amphibien beschriebenen zu entsprechen
schien. Die fragliche Endstelle erwies sich nunmehr als eine ganz selbständige und wurde als Macula ac. neglecta,
der ihr angehörige Nervenzweig als Eamulus neglectus bezeichnet.
In dem neulich, viele Jahre nach dem Tode des Verfassers veröffentlichten Texte des Werkes von Ibsen3
findet man eine eingehende Darstellung des Gehörorgans von Chelonia mydas. Das knöcherne Labyrinth wird von
Os bregmatis, Os petrosum und Os mastoideum gebildet; Os bregmatis schliesst den gemeinsamen Kanal und einen
1 C. Hasse, Die vergleichende Morphologie und Histologie des häutigen Gehörorgaues der Wirbelthiere. Supplement zu den Anatomischen Studien
herausgeg. von Dr. C. Hasse, Band I. Leipzig 1873.
2 Gustaf Retzius, Zur Kenntniss des inneren Gehörorgans der Wirbelthiere. Archiv f. Anatomie und Physiologie, Anat. Abtheil. 1880.
3 I. Ibsen, Anatomiske ITnders0gelser over 0rets Labyrinth, afsluttet af forf. i 1846. Nu udgivet paa Carlsbergfondets Bekostning, ved Prof. Dr.
P. L Pakum. Kj0beuhavn 1881.
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