http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1884-2/0028
16
Kühn referirten Beschreibung Hasse's von der Communicationsöffnung zwischen Utriculus und Sacculus hat dieser
letztere Forscher ebenfalls schon längst hervorgehoben, dass jene Beschreibung von ihm die Mündung des Ductus
endolymphaticus betrifft, und er hat dabei auch die wirkliche, nach hinten davon befindliche, sehr feine Communicationsöffnung
zwischen Utriculus und Sacculus angegeben. Auf Grund dieser genauen Anschliessung an Hasse's
Darstellung finde ich es deswegen angemessen, die übrigens sehr klare und übersichtliche Beschreibung Kuhns hier
nicht zu referiren, indem dadurch sachlich nur eine Wiederholung des schon gelieferten Referates über jene Arbeit
gegeben werden würde. Ich beschränke mich deswegen darauf, nur diejenigen seiner Angaben anzuführen, welche
von denen Hasse's und anderer Forscher abweichen, was besonders hinsichtlich der histologischen Verhältnisse der
Neuroepithelien der Fall ist. Der Nervus acusticus theilt sich in einen Eamus vestibularis und einen Ramus cochlearis;
ersterer zerfällt in den Nervus utriculi, den N. ampulhe sagittalis und den N. ampullse horizontalis; aus dem letzteren
entstammen der Nervus sacculi, N. partis basilaris, N. lagense, N. ampullse frontalis und der N. papillse Eetzii1. Die
an den Hörflecken und Hörleisten durch den Knorpel tretenden markhaltigen Fasern der Nervenzweige geben vor
dem Austritt durch den Basalsaum ihre Markscheide ab und steigen dann als blasse Axencylinder ins Nervenepithel aus.
Hier theilt sich der Axencylinder nicht mehr; er steigt entweder direct zu den einzelnen, im oberen Abschnitte der
Hörflecke gelegenen Zellen empor oder er wendet sich, nach seinem Durchtritt durch den Knorpel, um und zieht in
horizontaler, mit der Knorpeloberfläche paralleler Richtung weiter, um sich mit anderen analog verlaufenden Fasern
zu kreuzen. Hierdurch entsteht im Inneren der Hörflecke ein weitmaschiger Plexus, aus welchem dann einzelne
feinste Nervenfasern wieder hervortreten, um gegen die Oberfläche der Macula ihren endgültigen Verlauf zu nehmen.
Die einzelnen Nervenfasern in diesem Plexus verbinden sich nicht direct mit einander, sondern es findet blos eine
Kreuzung der einzelnen Fasern unter einander statt, so dass wir es hier mit einem Nervenplexus und nicht mit
einem Nervennetze zu thun haben. Von der Fläche betrachtet erkennt man an der Macula utriculi, dass sie aus
rundlichen Epithelien zusammengesetzt ist; man sieht neben einander liegende, kleine, kreisförmige Zellen, in deren
Centren ein kleiner, glänzender Punkt — die Andeutung des Haares — sichtbar ist; zwischen diesen runden Zellen
liegen ungemein schmale und kleine Zwischenräume, die stets leer erschienen. An Querschnitten sieht man zwei
verschiedene Zellschichten, von denen die eine auf dem Basalsaume gelegen ist, während die andere Schichte auf
der vorhergehenden ruht. Wie bei den Fischen und Amphibien bezeichnet Kuhn die erste Schichte als Basalzellen-,
die letztere als Cylinderzellenschichte. Die Basalzellen sind rundliche Zellgebilde, die dem Basalsaume des Knorpels
direct aufsitzen und in regelmässiger Weise neben einander liegen; sie bilden nur eine einzige Zellenlage. Zwischen
der Basalzellenschichte und den darüberliegenden Cylinderzellen sieht man eine leicht granulirte, amorphe, dünne
Masse; ähnliche, aber weit geringere Massen liegen auch zwischen den einzelnen Basalzellen selbst. Die Basalzellen
stellen helle, durchsichtige Zellgebilde dar; auch an den Basalzellen der Reptilien fand Kühn niemals jene nach
oben zwischen die Cylinderzellen hineinragenden Fortsätze, wie dies Hasse von seinen »Zahnzellen» beschreibt.
1 Bezüglich dieser Nervenendstelle äussert Prof. Kühn am Schlüsse des Capitels über das Ohr der Chelonier u. A. Folgendes: »Wenn mir auch durch
diese früher erfolgte Publication von Retzius das geringe Verdienst, dieselben zuerst bei den Reptilien gefunden zu haben, vorweggenommen ist, so bleibt
mir, der ich ja kein eigentlicher Fachmann auf anatomischem Gebiete sein kann, doch die Genugthuung, meine Untersuchungen durch einen so bewährten
Forscher bestätigt zu wissen.» Auf Grund der Darstellung Prof. Kuhn's finde ich mich, ohne mich übrigens auf Prioritätsstreitigkeiten einzulassen, aufgefordert
die Geschichte dieser Nervenendstelle und mein Verhalten zu derselben in kurzen Zügen nochmals anzugeben. Nachdem ich im Jahre 1871—2 bei den Knochenfischen
(Hecht, Barsch u. s. w.) die fragliche, aus zwei getrennten Hügeln bestehende Nervenendstelle gefunden und als das vermuthliche Homologon der Pars
basilaris Cochlea? beschrieben hatte, wurde ihr Vorhandensein bei diesen Fischen von Hasse im Jahre 1873 bestätigt, obwohl er nicht geneigt war, der ebeu erwähnten
Deutung beizutreten; später wurde von Kuhn (Archiv f. mikrosk. Anat. 1877, Nov.) ihr Vorkommen bei etwa denselben Knochenfischen, bei denen ich
sie beschrieben, bestätigt. Im Sommer 1877 fand ich die Nervenendstelle bei den Plagiostomen; die darüber publicirte Abhandlung erschien im ersten Heft des
Nord. Med. Arkiv Bd X N:r 1, 1878 sowie im II Heft d. Archiv f. Anat. und Phys. 1878. Im Frühjahr 1878 arbeitete ich damit bei den Amphibien und
Reptilien und fand sie bei allen den von mir untersuchten Arten, zeichnete sie ab und zeigte sie mehreren befreundeten Forschern; erst im Herbste 1879 fand
ich wieder Zeit, damit bei den Reptilien zu arbeiten, und zwar auf einer Reise nach England, Frankreich und Deutschland; ich zeichnete die fraglichen Gebilde
ab und beschrieb sie bei einer grösseren Zahl von Reptilien, Fischen (auch Ganoiden) und Amphibien und zeigte meine Abbildungen derselben verschiedenen
Gelehrten. Die bezügliche Publication schob ich aber auf, indem ich alles in meiner grösseren Monographie zu veröffentlichen wünschte. Bevor dies jedoch
geschehen konnte, erschien die Arbeit von Kühn über das Gehörorgan d. Amphibien (Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd 17, März 1880), in welcher er
äusserte, dass das constante Auftreten der fraglichen Nervenendstelle bei den Teleostiern und Plagiostomen daran denken lässt, dass die früher von Deiters
und Hasse bei den Amphibien beschriebene Pars initialis Cochleae die Entwickelung derselben repräsentirt. Da meine Monographie zufolge der zeitraubenden
Gravirung der vielen Tafeln damals noch nicht erscheinen konnte, fand ich es angemessen, vorläufig eine kleine Mittheilung über meine Arbeiten zu geben.
Dies geschah im Nord. Med. Arkiv im Juniheft 1880 und im Archiv f. Anatomie und Physiol. Anat. Abtheil. 1880 Heft 2 & 3 (im Juli erschienen); auch
hielt ich über den ganzen Gegenstand einen Vortrag in der Versamml. d. skandin. Naturforscher-Gesellschaft im Juli 1880. Von diesem Allem kann ich nun
zwar nur beanspruchen, dass Prof. Kuhn die meine Mittheilung, welche im Sommer 1880 in dem überall im wissenschaftlichen Deutschland zugänglichen Archiv
f. Anat. u. Physiol. erschien, zu rechter Zeit beaufmerksamen würde. Dies hat er aber scheinbar nicht gethan, indem er in seiner am 24. Dezember 1881
erschienenen Arbeit üb. d. Gehörorgan d. Reptilien die fragliche Nervenendstelle und ihren Nerven als bei diesen Thieren neu, von ihm entdeckt beschrieben
und erst am Ende der Abhandlung erwähnt hat, dass ihm durch mich »das geringe Verdienst, dieselben zuerst bei den Reptilien gefunden zu haben, vorweggenommen
ist» etc. In Betreff des Namens der Nervenendstelle und ihres Nervenzweiges sage ich Prof. Kuhn meinen besten Dank, da er mir die Ehre erwiesen
hat, an diese Gebilde meinen Namen zu knüpfen. Ich hoffe jedoch, dass er meine Gesinnung verstehen wird, wenn ich diese Benennungen nicht selbst
benutze, sondern meine früheren Bezeichnungen beibehalte.
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1884-2/0028