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Das Gehörorgan der Ophidier.
Geschichtliches.
Geoffroy 1 beschrieb das Gehörorgan bei der Viper (Coluber Berus L.), der Natter (Coluber Natrix L.) und
bei einigen grossen »Schlangen aus Asien», die zu dem Geschlechte der Natter gehörten. Bei allen fand er eine
grosse Uebereinstimmung. Aeusseres Ohr, Trommelfell, Paukenhöhle und Eustachische Eöhre waren nicht zu finden
. Ein längliches Knöchelchen lag zwischen den Muskeln, welche zur Bewegung der Kinnladen dienen, und
endigt innen mit einer Platte, welche das eirunde Fenster zudeckt, aussen mit einem Knorpel, welcher an den
Knochen grenzt, der die Kinnlade stützt, so, dass man dieses Knöchelchen in drei Theile abtheilen kann, nämlich
die Platte, den Griff und den vorderen knorpligen Theil, der von den ersten abgesondert mit ihm durch ein Gelenke
verbunden ist; von dem knorpligen Knöchelchen entsteht ein breites Band, das es an dem erwähnten Knochen
befestigt. Das eirunde Fenster führt zu dem ziemlich unregelmässigen Vorhofe, an dessen unterem Theile, dem
eirunden Fenster gegenüber, die Oeffnung liegt, welche den Gehörnerven einlässt. Im oberen Theile befindet sich
hier eine ziemlich beträchtliche Vertiefung, so dass die Höhe des Vorhofs zweimal grösser als seine Tiefe erscheint.
Halbkreisförmige Kanäle konnten nicht, weder in dem Gewölbe, noch in den Wänden dieser Höhle, wahrgenommen
werden; vielleicht ist die erwähnte Vertiefung an ihrer Stelle. Bei der Natter schien diese Vertiefung weniger
tief als bei der Viper zu sein.
Comparetti2 sah bei Vipera eine dünne Membran ohne natürlich vorhandene Oeffnung die Trommelhöhle vom
Munde aus bedecken. Das Gehörknöchelchen besteht aus zwei cylindrischen Theilen, von welchen der eine knorpelig
oder ligamentös, der andere knöchern ist; der erstere ist an dem zwischen den Maxillen eingeschobenen Knochenrande
angeheftet und an den anderen knöchernen Theil in stumpfem Winkel befestigt; der letztere besteht aus
einer länglichen Säule und einem beinahe rundlichen Fusse oder Basis mit röhrenförmig ausgehöhlter Innenfläche;
die Säule ist durch dünne feste Häutchen befestigt; die Basis logirt in der Fenestra ovalis und ist dort mittelst einer
festen Membran angeheftet; jedoch ist die ganze Columella mit der Basis stark beweglich, mehr nach vorn hin als
nach hinten; ein sie bewegender Muskel, obwohl vielleicht vorhanden, konnte nicht angetroffen werden. Wenn
die Basis des Knöchelchens entfernt ist, erscheint die Fenestra mit einer fast runden äusseren Oeffnung; ihre innere
Wand ist länger als die äussere. Durch das Fenster hindurch kann man im Grunde mehrere Löcher wahrnehmen,
ein grösseres oberes-hinteres, ovales, welches nach der gemeinschaftlichen Oeffnung der beiden halbzirkelförmigen
Kanäle sieht, ein unteres, welches direct nach der Schädelhöhle führt, und ein drittes kleines vorderes, welches in
eine besondere Höhle leitet, welche die Stelle des Tubus cochlearis zu vertreten scheint. Der Vorhof ist eine rundliche
Cavität. Hier mündet der vordere grössere und der kleinere hintere Bogengang aus; dieselben bilden oben
beim Zusammenfluss mit einander einen beinahe rechten Winkel. In diesen Kanälen liegen die häutigen Bogengänge
1 Geoffroy, Dissertations sur l'organe de l'ou'ie de l'homme, des reptiles et des poissons, Amsterdam & Paris 1778. Mir nur durch die deutsche
Uebersetzung bekannt: Herrn Geoffroys Abhandlungen von dem Gehörwerkzeuge des Menschen, der Amphibien und Fische, aus dem Französischen, Leipzig 1780.
2 Andrej Comparetti in gymnasio patavino P. P. P. observationes anatomicae de aure interna comparata. Patavii, 1789.
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