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Nach dieser Schilderung der gröberen morphologischen Verhältnisse der Pars superior ist der wichtige Zusammenhang
derselben mit der Pars inferior zu beschreiben. Wie Clason nachgewiesen hat, findet sich eine di-
recte Verbindung zwischen Utriculus und Sacculus in Gestalt eines feinen, engen Loches oder sehr kurzen Kanales,
Canalis utriculo-saccularis (Fig. 1, 2 cus), dicht unter der Einmündungsöffnung des hinteren Endes des äussern
Bogengangs, gerade an dem Anfang und der lateralen "Wand des Sinus posterior. Es ist dies, wie gewöhnlich, die
einzige directe offene Verbindung,
Es erübrigt aber an der Pars superior noch ein Gebilde zu beschreiben, nämlich die von mir auch bei den
Lacerten gefundene Macula ac. neglecta. Diese Nervenendstelle findet sich an der Innenfläche am unteren Umfang
des Sinus posterior utriculi (etwas mehr der lateralen Seite genähert), ungefähr an der Grenze zwischen dem
ersten (oberen) und zweiten Drittel desselben (Fig. 1—3, 10 mn). Sie besteht aus einem kleinen, unregelmässig-
ovalen Flecken oder niedrigen Hügel, dessen längster Durchschnitt quer am Boden des Sinus liegt; zu ihr tritt,
wie oben erwähnt, der vom Bamulus ampullse posterioris sich abzweigende Bamulus neglectus, gewöhnlich in mehrere
stark getrennte Bündel aufgelöst und am unteren Umfang des Sinus posterior, zwischen ihm und dem Sacculus nach
oben-vorn emporschmiegend (Fig. 1, 2, 10 rn).
Der Sacculus (Fig. 1—3, 11 s) stellt, von aussen gesehen, eine beinahe rundliche Blase dar, indem seine
Contour verhältnissmässig wenig unregelmässig rund verläuft. Nach der lateralen Seite hin ist er ebenfalls rundlich
gewölbt; dagegen ist die mediale Fläche stark abgeplattet oder eigentlich schwach gewölbt. Im Ganzen scheint
der Sacculus bei Lacerta viridis und Lacerta ocellata etwas kleiner zu sein als bei Lacerta agilis nach Clason.
Seine mediale Fläche liegt dem Utriculus und dessen Sinus posterior dicht an und steigt auch vorn-oben etwas über
den oberen Umfang des Utriculus empor; hinten-oben erreicht sein Band dagegen nicht das hintere, in den Utriculus
einmündende Ende des äusseren Bogengangs. Der vordere Umfang des Sacculus erreicht nicht die äussere Ampulle,
und sein hinterer Umfang reicht nur bis zum vorderen Ende der hinteren Ampulle; sein unterer Umfang steigt,
wie bei Lac. agilis, etwas unter den äusseren Bogengang hinab. Der ungefähr plan-convexe Binnenraum des Sacculus
ist zum allergrössten Theil von der weissen Otolithenmasse ausgefüllt; die äussere Sacculuswand ist so ausserordentlich
dünn, dass sie bei den Manipulationen des Herauspräparirens in den meisten Fällen mehr oder weniger
zerreisst, so dass die schleimig weiche Otolithenmasse heraustritt. Nach dem Wegnehmen dieses Sacculus-Otolithen
erkennt man ein wenig nach unten an der vorderen Hälfte der medialen Wand den rundlich-ovalen Flecken der
Macula ac. sacculi (Fig. 1, 2, 11 ms), zu welcher der kleine kurze Bamulus sacculi sich von unten-innen begiebt
und dendritisch oder fächerförmig ausbreitet. Ausserdem bemerkt man eine Strecke nach oben vom oberen Bande
der Macula und ungefähr ebenso weit nach vorn von der engen Saccularöffnung des schon oben erwähnten Canalis
utriculo-saccularis (Fig. 2 cus) eine zweite, ein wenig grössere Oeffnung, die Mündung (Fig. 2 ade) des von Clason
so genau beschriebenen und abgebildeten, eigenthümlich verlaufenden Ductus endolymphaticus (Fig. 1, 2 de); dieser
dünnwandige, häutige Gang geht nämlich von der ovalen Saccularöffnung zuerst schief zwischen Sacculus und Utriculus
nach unten-innen-vorn, biegt sich dann etwas nach hinten hin, im Winkel zwischen Utriculus und dessen Sinus
posterior, und nach innen um den Utriculus herum und, dessen Wand folgend, von einer periostalen Hülle umgeben,
weiter nach oben, etwas erweitert, bis zum vorderen Bande des Sinus superior; dann taucht er nach innen durch
die Apertura aquseductus vestibuli oss. der inneren Schädelwand in die Schädelhöhle hinein. Der Gang erweitert
sich dann mehr und mehr zu einem länglichen Saccus (Saccus endolymphaticus), welcher, wie Clason zeigte, bis
zum Schädeldach emporsteigt und sich mit seinem oberen Umfang dem entsprechenden Gebilde der anderen Seite anlegt
; hier oben endigt er als Blindsack und steht weder mit dem anderen Sacke noch mit den serösen Bäumen des
Gehirns in directer Verbindung. Es war mir sehr schwer, sein Verhältniss zu der Dura mater zu erklären; nach
Clason durchbohrt der Gang die Dura nicht; mir schien jedoch immer noch eine dünne Haut an der Knochenseite
desselben zu liegen, so dass er entweder zwischen Dura und Pia eindringen oder, was mir wahrscheinlicher erschien,
zwischen zwei Blättern der Dura sich befinden muss. Otolithenkristalle sind im Gange und Sacke der erwachsenen
Thiere nicht zu entdecken.
In Folge der Gesammtgestalt des Sacculus wird gewissermassen rings um am Bande, wo die äussere und innere
Wand zusammentreffen, eine seichte Binne gebildet; diese Binne ist aber besonders am hinteren-unteren Umfange
stark ausgeprägt, und Clason hat auch hier eine besondere, grosse und tiefe Binne bei Lacerta agilis beschrieben
und abgebildet. Bei Lacerta viridis und ocellata ist indessen die fragliche Bildung nicht so stark aus-
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