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Claudius1 fand die Spiralplatte der Vogelschnecke im Wesentlichen der der Säugethiere gleich gebaut. Die
beiden Knorpel gehen an den das Knochenrohr berührenden Rändern in das Periost derselben über, und dieses verdickt
sich am blinden Ende der Schnecke zur Lagena, in welche also die Knorpel aufgehen. An der der Paukentreppe
zugewandten Seite der Spiralplatte befindet sich eine zwischen zwei hervorspringenden Leisten der Knorpel ausgespannte
Zona pectinata. In der Substanz des inneren Knorpels treten die Hörnervenbündel durch Kanäle an die
Zona. In der Vorhofstreppe hat jeder Knorpel noch eine andere vorspringende Kante. »Von der des innern
Knorpels, der Husclikes Gehörzähne trägt und der Crista sulcata analog ist, tritt eine gefässhaltige Membran, Tre-
viranus Gehörblatt, die Membrana Corti, hoch in die Vorhofstreppe gewölbt nach der andern Seite hinüber. Sie
wird getragen von einem reichen Zellenparenchym, den bekannten grossen pigmentreichen Zellen der Vogelschnecke,
zwischen (oder in?) welchen die Otolithen liegen.» Die untere Membran des Spiralblatts ist in ihrer ganzen Ausdehnung
gestreift, und ihre Streifen lassen sich von einander isoliren. Von einem Cortisonen Organ wurde keine
Andeutung wahrgenommen.
Leydig2 hat in seinem Lehrbuch der Histologie die feineren Verhältnisse des Vogelohres kurz besprochen.
Bei der Taube sieht man im Inneren der Ampullen nicht bloss den die Nervenendigung tragenden Vorsprung,
sondern es existirt noch eine besondere Haut, welche, von der Basis des gedachten Vorsprunges ausgehend, sich über
den Nervenknopf gleich einer Kapuze herüberzieht; der Nervenknopf erscheint gewissermassen in einen zweiten,
innerhalb der Ampulle liegenden Sack eingestülpt; während nun das Epithel ausserhalb des Sackes von derselben
blassen Beschaffenheit ist, wie in den Ductus semicirculares, ist es im Inneren der Kapuze dunkelkörnig, und diese
Zellen laufen an ihrer freien Seite in je einen kammartigen, im Profil fadenähnlichen Fortsatz aus; beim Auerhahn
wurden dieselben Zellen gefunden. Der hinzutretende Nerv theilt sich in zwei Hauptäste, deren blass gewordene
Primitivfasern in einer kleinzelligen Masse enden, und zwar wahrscheinlich so dass die Pasern eine der kleinen Zellen •
als Ganglienkugel aufnehmen, aus welcher sie in eine feine Spitze auszulaufen scheinen. Die Otolithen der Vögel
zeigen sich unter der Form kleiner Kristalle, die nach Behandlung mit Bichromas kalicus an den beiden Polen
eine eigenthümliche Zeichnung darboten, die sich ins Innere zog. Der Bau der Schnecke wurde bei der Taube, ausserdem
bei der Schnepfe, dem Auerhahn und dem Kanarienvogel untersucht. Im Knorpelrahmen sieht man eine faltigstreifige
Zeichnung der Grundsubstanz, und die darin liegenden Zellen sind ziemlich zahlreich und deutlich verästelt;
in jeden Schenkel des Rahmens tritt ein grösseres Blutgefäss ein, das sich in mehrere Längsgefässe auflöst, die
wieder in ein kleineres Maschennetz zerfallen. In dem länglichen Zwischenräume des Rahmens ist ein zartes, ge-
fässloses, fein gestreiftes Häutchen ausgespannt, welches die Beschaffenheit der Zona pectinata der Säuger hat,
während die auf seiner Oberfläche zu sehenden Kerne einem anderen, noch viel zarteren Häutchen anzugehören
scheinen. Wo nun die streifige Haut an den Rahmenschenkel angrenzt, finden sich eigenthümliche, zellige Gebilde
von zweierlei Art. Die einen sind ganz analoge Stachelzellen, wie in den Ampullen: blasse, rundliche oder kurz-
cylindrische Zellen, welche in einen spitzen Fortsatz sich zu verlängern scheinen; in Wahrheit aber erhebt sich auf
der Zelle eine dünne Membran, die eben im Profil wie eine dicke Borste sich ausnimmt. Man denkt, sagt Leydig,
unwillkürlich an undulirende Membranen, allein keine Spur einer Bewegung konnte wahrgenommen werden; an
Wimpercilien wird man ferner noch dadurch erinnert, dass nach eintägigem Aufenthalt in Kali bichrom. der membranartige
Anhang der Zelle deutlich in 8—4 Einzelhaare sich zerspalten zeigt. Leydig bildet an seiner Figur der
Taubenschnecke drei Reihen dieser Zellen ab. Solche Zellen kleiden auch die Lagena aus. Die anderen, zwischen
den beiden Schenkeln des Rahmens vorkommenden Gebilde sind die zartesten Theile des Gehörorgans; frisch untersucht
zeigen sie sich als äusserst blasse, gallertige, cylindrische Zellen; in seiner Figur der Taubenschnecke bildet
er dieselben als eine nach innen von den Stachelzellen horizontal liegende Zellenreihe ab. Der Schneckennerv geht
nach Leydig gewiss nicht über das Knorpelstratum hinaus, sondern nach reicher Plexusbildung »gelangen die blass
und fein gewordenen Fibrillen an den homogenen dünnen Rand des Knorpels, an den die gestreifte Lamelle sich
ansetzt, und die Fasern laufen äusserst zart aus, nachdem sie kurz zuvor eine kleine Anschwellung entwickelt haben,
die ich auf eine winzige Ganglienkugel beziehen möchte». Die Membrana vasculosa erscheint in zahlreiche Querfalten
gelegt und besteht aus einem zarten bindegewebigen, die Gefässe tragenden Stratum und einem Epithel mit
dichtem, gelbkörnigem Inhalt. Die Blutgefässe dieser Haut, welche das Aequivalent der Corti'schen Membran der
1 M. Claudius, Bemerkungen über den Bau der häutigen Spiralleiste der Schnecke. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie. Band 7, 1855.
2 F. Leydig, Lehrbuch der Histologie des Menschen und der Thiere, 1857.
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