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Das Gehörorgan der Säugethiere
und des Menschen.
Geschichtliches.1
Nachdem durch die Bemühungen älterer Anatomen, unter denen vor Allem Eustachius, Faloppia und selbst
Vesalius, sowie ferner Casserius, Schelhammer, Duverney, Winslow, Vieüssens, Valsalva, Cassebohm, Morgagni,
Cotugno zu erwähnen sind, das knöcherne Labyrinth und die knöcherne Schnecke in ihren hauptsächlichen Beziehungen
allmälig erkannt worden waren, blieb es eigentlich Scarpa — und, wie es scheint, fast gleichzeitig mit
ihm, gewissermassen auch Comparetti — vorbehalten, das häutige Labyrinth zu entdecken und zum Theil auch
unsere Kenntnisse von der Schnecke zu befördern. Zwar waren von mehreren der Vorgänger in den knöchernen
halbzirkelförmigen Kanälen »nervige Stränge» (Funiculi nervei) oder Fäden (Filamenta) oder platte, nervige Blätter
(complanatje zonse nervea?) beschrieben und im knöchernen Vorhof einige nervige Scheidewände gesehen worden;
ihre Beschreibungen und Ansichten von diesen Gebilden waren aber sehr undeutlich und verworren. Es war deshalb
ein ausserordentlich grosser Fortschritt in der Anatomie des Gehörorgans, als Scarpa2 die concise Darstellung
seiner genauen Untersuchungen veröffentlichte und dabei nachwies, dass auch beim Menschen und den Säuge-
thieren im knöchernen Labyrinthe ein dem der übrigen Wirbelthiere, von den Fischen aufwärts, ganz ähnliches
häutiges Labyrinth vorhanden ist; in jedem der drei halbzirkelförmigen Kanäle fand er einen häutigen Bogengang,
welcher bald in der Axe des Kanales, bald an seiner Seitenwand fortstreicht und an derselben durch einen sehr zarten
und fast schleimigen Zellstoff befestigt ist; ein jeder der drei Bogengänge schwillt da, wo er im Vorhofe anfängt,
zu einem eirunden Bläschen auf, welches in jener Grube liegt, mit welcher jeder knöcherne Kanal entspringt!
So ist nicht nur beim Menschen, sondern auch beim Ochsen, Pferde, Schafe, Hunde, Schweine und der Katze der
Fall. Nun fand ferner Scarpa, dass an der obern und ein wenig hintern Wand des Vorhofs, dem eirunden Fenster
gegenüber, ein längliches, häutiges, durchsichtiges Säckchen liegt, das sich quer durch die Vorhofshöhle zieht;
es hat die Gestalt eines kleinen Schlauches, dessen Boden nach den Mündungen der knöchernen Bogengänge, der
Hals aber nach der halbkugelförmigen Grube des Vorhofs hin liegt; das eine obere höckerige Ende dieses Säckchens
liegt in der halb elliptischen Grube; das untere schlanke erstreckt sich quer über den Boden des Vorhofs
und trifft auf den Anfang des hinteren häutigen Bogengangs. Von diesem Säckchen gehen nun die drei Bogengänge
aus und kommen zu ihm, als zu einem »Alveus communis», zurück; von der oberen Gegend des Säckchens
geht das Bläschen des oberen häutigen Bogenganges, und diesem zunächst dasjenige des äusseren Bogenganges
aus; folglich stehen beide Bläschen mit dem Säckchen des Vorhofs in Verbindung; von dem unteren schmaleren
Ende des Säckchens entspringt das Bläschen des hinteren häutigen Bogenganges; von den also anfangenden
häutigen Bogengängen gehen der obere und hintere, wenn sie ihren Bogen gemacht haben, nach dem Vorhof zurück
und öffnen sich mit einer gemeinschaftlichen Bohre in das Säckchen, in der mittleren Wölbung desselben; das andere
» Diese geschieht!. Darstellung betrifft hauptsächlich nur das membr. Gehörorgan mit dem Ductus cochlearis, weshalb sie eigentlich die Zeit von Corti
an angehender berücksichtigt. Weil m den Beschreibungen das fragt. Organ des Menschen und der verschied. Säugethiere meistens nicht besonders behandelt
worden ist, müssen sie leider auch hier zusammen referirt werden.
2 Ant. Scarpa, Anatomie* disquisitiones de auditu et olfactu, Ticiui 1789; in deutscher Uebersetzung unter dem Titel: Axtox Scarpa's anatomi-
sehe Untersuchungen des Gehörs und Geruchs. Nürnberg 1800.
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