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Ende des äusseren häutigen Bogengangs tritt da, wo sich die gemeinschaftliche Bohre einsenkt, zum Vorhof zurück
. Die häutigen Bogengänge und das Säckchen sind von einer dünnen wässrigen Flüssigkeit ausgefüllt. Aber
auch die halbrunde Grube des Vorhofs enthält ein rundes, durchsichtiges Säckchen, wobei jedoch nur die eine
Hälfte desselben in ihr, die andere in der Vorhofshöhle liegt; die erste Hälfte des runden Säckchens ist sehr fest
am Boden der erwähnten Grube angeheftet; dieses runde Säckchen ist ringsum geschlossen und von den übrigen
Behältern und Kanälen des Labyrinths abgesondert, wobei es seine eigene wässrige Flüssigkeit enthält, durch
welche die kuglige Spannung unterhalten wird; aus dem Grunde desselben sieht man einen weisslichen länglichen
Flecken durchschimmern, welcher anfangs einen hiesigen Otolithen vermuthen liess, bei genauerer Untersuchung
aber sich als dem hier sich verbreitenden Grehörnerven angehörend zeigte. — Das weiche Spiralblatt der Schnecke
besteht aus einer doppelten Substanz, wovon die eine, mit dem freien Eande des knöchernen Spiralblatts fest verwachsene
eine Mittelkonsistenz zwischen Knorpel und Haut hat und lederartig genannt werden kann, die andere
aber ganz häutig, fast schleimig ist; der Eand, wo das lederartige Blatt dem knöchernen ansitzt, hat viele kleine
Kanäle, die strahlenweise durch die Dicke des Spiralblatts laufen und mit denen zusammenhängen, welche von
der knöchernen Spindel abtreten. Der häutige Theil des weichen Spiralblatts ist eine Verdoppelung des Knochenhäutchens
der Schnecke. Weil aber das knöcherne und das lederartige Spiralblatt allmälig gegen die Spitze
der Schnecke an Breite abnehmen, so muss nothwendig das Knochenhäutchen, je mehr das Spiralblatt sich der
Spitze nähert, einen grösseren Baum zwischen dem freien Bande des lederartigen Spiralblatts und der Schneckenwand
ausfüllen. Das knöcherne Spiralblatt endigt mit einem Häkchen; hierdurch entsteht ein trichterförmiger
Baum; das weiche Spiralblatt setzt sich noch etwas weiter fort; an der inneren Seite, wo die knöcherne Spindel fehlt,
bleibt eine Oeffnung, durch welche sich die Paukentreppe in den Trichter öffnet; die Vorhofstreppe öffnet sich in
diese Höhle, die gleichsam einen den beiden Treppen gemeinschaftlichen Vorhof darstellt, neben der Cupula und
der äussersten Spitze der Schnecke, wo also beide Treppen unter sich in Verbindung stehen. — Diese letzt erwähnten
Verhältnisse waren schon von Cassebohm grösstentheils in ähnlicher Weise dargestellt. — Alle Theile des
häutigen Labyrinths schwimmen nun in der Flüssigkeit des knöchernen, und das Spiralblatt der Schnecke liegt
zwischen zwei Strömen der Flüssigkeit. Im. menschlichen Vorhofe ist der Alveus communis an die obere und etwas
an die hintere Wand des Vorhofs angewachsen; das runde Säckchen nimmt aber den Boden des Vorhofs ein;
deshalb bleibt mitten zwischen dem eirunden Fenster und den Säckchen ein Baum, der im frischen Zustande mit
der Flüssigkeit des knöchernen Labyrinths angefüllt ist; das eirunde Fenster und die Platte des Steigbügels ist
somit nach dem Alveus, dem runden Säckchen und der Mündung der Vorhofstreppe gerichtet. — Scarpa beschrieb
dann eingehend das Verhalten des Grehörnerven im inneren Grehörgang und in seiner weiteren Verzweigung-.
Der Anfang des Nervenwirbels bildet eine geflechtartige Schicht von Fäden, aus der die Nervenäste für die Bläschen
der häutigen Bogengänge, den Alveus communis und das runde Säckchen entstehen; der grössere und dickere
Ast geht, sich in drei Zweige theilend, zu den Bläschen des oberen und äusseren Bogengangs und dem Alveus
communis, der andere kleinere wendet sich zum Bläschen des hinteren Bogengangs, und in der Mitte zwischen
beiden läuft der dritte Ast zum Boden der halbkugligen Grube, wo er am runden Säckchen endigt. Der übrige
Theil des Gehörnerven versieht die Schnecke mit Bündeln, indem die Fäden, welche sich in der ersten Windung
des siebförmigen Spiralganges anlegen, zum Spiralblatt in dem ersten Grewinde laufen; die Fäden aber, welche sich
in dem inneren Kreise desselben Ganges befinden, gehen zum Spiralblatt der Schnecke in dem zweiten Grewinde;
schliesslich verliert sich der die Mitte der Spindel durchziehende Nervenstrang in dem Trichter, dem letzten
Halbgewinde und dem Ende des weichen Spiralblatts.
Die fast gleichzeitig mit Scarpa's Werk erschienene Arbeit von Comparetti 1 ist auch über das Grehörorgan
des Menschen und der Säugethiere sehr ausführlich, aber zugleich etwas unklar und schwer verständlich; da nun
auch seine Beschreibung des häutigen Labyrinthes derjenigen von Scarpa ziemlich viel nachsteht, verzichte ich
darauf, ein Beferat davon zu geben, um so mehr als ein solches der Schwerverständlichkeit wegen nicht ohne
grosse Ausführlichkeit gegeben werden könnte und der Baum für die spätere Geschichte gespart werden muss.
In der danach zunächst folgenden Zeit wurde die Kenntniss von dem häutigen Gehörlabyrinth und der
Schnecke des Menschen und der Säugethiere nur wenig erweitert. Zwar erschien die Abhandlung von Wild-
1 Andrej Comparetti in gymuasio patavino p. p. p. observationes anatomica? de aure interna comparata. Patavii, 1789.
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