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Fasern (Fig. 20 n) laufen bis unter die Haarzellen; hier gehen einige direct zum unteren Ende dieser Zellen, die
meisten biegen sich aber um und laufen eine Strecke nach der Seite hin, verbreitern sich oder theilen sich und
umfassen mit ihren Fibrillen die unteren Enden von je zwei, drei oder vier Haarzellen (hz), welche ihnen mehr
oder weniger fest angeheftet sind. Auch bei den Haarzellen der Crista3 ac. bemerkt man hin und wieder die oben
erwähnten umstrickenden feinsten körnig-varicösen Fäserchen (Fig. 21), welche Nervenfäserchen nicht unähnlich sind
und vielleicht Fortsetzungen der Nervenfasernbrillen darstellen. Jedenfalls setzen sich also die Nervenfasern bis zum
unteren Ende der Haarzellen fort und hängen mit ihnen zusammen, ob sie sich aber noch weiter mit einzelnen
Fibrillen über den Körper dieser Zellen fortsetzen, muss ich bis auf Weiteres unentschieden lassen, halte es aber
nunmehr für möglich; ihre definitive Endigung an oder in den Haarzellen ist deshalb gewissermassen noch eine
ungelöste Frage, die für unsere Wissenschaft von sehr hoher Bedeutung ist. In Folge der grossen Wichtigkeit
der Frage ist es aber nothwendig, nur mit grösster Vorsicht vorwärts zu dringen und nur das sicher und
viele mal Beobachtete als wahr anzuerkennen.
Auf den Cristse trifft man nach den gewöhnlichen Behandlungsarten die bekannte Cupulabildung.
Der JRamus anterior acustici besteht aus Nervenfasern, welche alle mit Markscheide und Schwannscher Scheide,
resp. Einschnürungen und Segmentkernen, versehen sind, also vollständig wie die Fasern der cerebrospinalen peripherischen
Nerven und Ganglien wurzeln gebaut sind; sie sind im Allgemeinen schmal, dickere kommen aber auch
zwischen den anderen vor (haben eine Breite von 0,003—0,015 Mm.). Zwischen den Nervenfasern liegt in dem
Nervenzweige, besonders vor seiner Theilung, eine grosse Menge oppositipol-bipolarer, rundlich-ovaler Nervenzellen
eingestreut; sie sind mit einer als Fortsetzung der Schwannschen Scheide anzusehenden, dünnen, auf der Innen-
seite einzelne Kerne, resp. Zellen führenden Kapsel ohne Markscheide versehen, haben den einen Ausläufer sehr
schmal, den anderen etwas dicker und messen im Durchschnitt 0,015—0,06 Mm.; sie sind gewöhnlich einander am
Ursprung etwas genähert und gehen in markhaltige Nervenfasern über. Das Protoplasma der Nervenzellen erscheint
bei schwächerer Vergrösserung »körnig» und enthält zerstreute gelbliche Pigmentkörnchen; Kern und Kernkörper-
chen sind, wie bei Nervenzellen im Allgemeinen, gross.
Bei der Darstellung vom feineren Bau der Schnecke werde ich hauptsächlich den eigentlich wichtigen
Theil, Ductus cochlearis, eingehender behandeln; der Verlauf und die feinere Verzweigung der Nervenfaserbündel
durch den Modiolus und die Lamina spiralis ossea sind längst bekannt und bieten nur Weniges, worüber man sich
nicht geeinigt hat; ob alle Nervenfasern in der Habenula ganglionaris durch bipolare Nervenzellen unterbrochen
sind, ist mir, wie meinen Vorgängern, nicht möglich, sicher zu entscheiden.
Die gröberen morphologischen Verhältnisse des Ductus cochlearis oder der eigentlichen häutigen Schnecke
wurden schon oben berührt. Da ich jetzt zur Darstellung der feineren Verhältnisse übergehe, so wähle ich, wie
schon bei meiner früheren Beschreibung derselben (Biolog. Unters. 1882) geschah, zum Ausgangspunkt die Mittelwindung
, um dann die Eigentümlichkeiten der anderen Windungen hervorzuheben.
Wie am übrigen Theil des membranösen Gehörorgans, an der Pars superior und am Sacculus, sowie an der
Cochlea bei den übrigen Wirbelthierclassen, so wird auch bei den Säugethieren das epitheliale Schneckenrohr schon früh
von einer Bindesubstanzschicht umgeben, die sich von dem umschliessenden Gewebe abtrennt und mehr oder weniger
verdichtet. Diese Schicht mag nun als integrirender Theil des eigentlichen Schneckenrohres angesehen werden oder
nicht, jedenfalls stellt sie für das erwachsene Leben einen sehr wichtigen Bestandtheil der Wand dieses Eohres dar, obwohl
die Anlöthung und Verwachsung derselben mit gewissen umgebenden Partien die genaue Bestimmung ihrer Grenzen
theilweise fast unmöglich macht. An der »vestibulären Wand», der Membrana Reissneri, ist diese bindegewebige
Schicht bei erwachsenen Kaninchen äusserst dünn, aber stets als eine fast homogen erscheinende, nur undeutlich
streifige, resp. faserige Lage vorhanden, an deren Innenfläche nach dem Lumen des Ductus cochlearis hin das sehr
abgeplattete polygonale Epithel (mit Zellen von 0,015 — 0,025 Mm. Länge) eng ansitzt, während die entgegengesetzte
Fläche von einer Schicht äusserst dünner, sehr grosser, endothelialer, kernführender Zellen bekleidet ist, deren unregelmässige
Grenzen durch Silberlösung leicht hervorgerufen werden können; andere Bildungen sind an ihr nicht vor-
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