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Haarzellen unzweifelhaft darzulegen. Dagegen gelang mir dies in ganz überzeugender Weise und in Hunderten von
Fällen bei den höheren Wirbelthierklassen, und zwar sowohl bei den Eeptilien (Alligator) wie bei den Vögeln
(Taube) und den Säugethieren (Kaninchen, Katze, Mensch). Ich kann deshalb als ganz unzweifelhaft und sicher
behaupten, dass bei diesen Thieren die Nervenfasern entweder ungetheilt, wenn sie ganz dünn sind, sich mit dem
unteren Ende je einer Haarzelle verbinden, oder, wenn sie dicker sind — was bei Weitem die Regel ist —
bald ohne vorhergehende Theilung, bald nach dichotomischer Verzweigung in zwei gleiche Aeste oder nach Abgabe
feinerer Seitenäste, sich verbreitern und sich mit dem unteren Ende mehrerer (2—4 oder 5) Haarzellen in
der Weise verbinden, dass ihre Primitivfibrillen das Protoplasma der Zellen schalen- oder mantelförmig umfassen,
wodurch eine innige Vereinigung entsteht. Nun sah ich aber hin und wieder von diesem unteren Zellenende her
feine, knotige Fäserchen sich an der Oberfläche der Zelle an der Kernregion vorbei und weiter oben am Zellenkörper
entlang schmiegen, so dass es den Anschein hatte, als ob Primitivfibrillen auch die oberen Theile der Haarzellen
dicht umstricken, ehe sie an ihrem Protoplasma endigen; in dieser Hinsicht muss jedoch die Endigungsfrage noch
offen gehalten werden, damit wir nicht etwa verfrühte Früchte pflücken. Jedenfalls steht indessen die directe
Verbindung der Haarzellen mit den Nervenfasern fest. Hie Haarzellen der Maculae und Cristse acusticse sind deshalb
in der That als wirkliche Sinneszellen zu betrachten, und ihre Hörhaare, welche, wie ich früher (1871) gezeigt
habe, aus dicht an einander gelagerten parallelen feinen Fäden zusammengesetzt sind, behalten ihre beanspruchte
Bedeutung als Sinnesendapparate. An den Maculae acustica} sind diese Haare verhältnissmässig kurz und
stecken in eigenthümlichen Deckmembranen, welche mehr oder weniger mit Otolithenkristallen versehen (oder, wie
bei den Knochenfischen, mit harten Concretionen ausgerüstet) sind. An den Cristse acustica3 sind dagegen die Haare
der Haarzellen viel Wer, steigen sogar, wie Hensen dargelegt hat, hoch durch das Lumen der Ampulle empor
und stecken nicht in wirklichen Deckmembranen; das, was man früher dafür gehalten hat, die Cupula terminalis,
ist nach Hensen kein präformirtes Gebilde, sondern durch die Präparation entstanden.1 An der Macula ac. neglecta
sah ich auch nie eine Deckmembran.
1 Ich benutze diese Gelegenheit, um meine früheren -Angaben über das Verhalten der Cupula terminalis zu berichtigen. Bekanntlich hat, nachdem
Max Schultze (1858) auf den Cristae acustic* der Ampullen der Fische die in-die Endolymphe frei hervorragenden Haare entdeckt und Fr. E. Schulze
(1862) diesen Befund nicht nur bestätigt, sondern ihn dahin erweitert hatte, dass die Haare wenigstens bis zur Mitte der Ampullen reichten - zuerst Lang
(1863) durch Behandlung der Präparate mit Salpetersäure und Alkohol zu beweisen gesucht, dass eine zarte, feinstreifige Masse, die »Cupula terminalis», die
Crist* ac. bedecke, deren Ueberreste die Haare sein sollten. Hensen (1863) bestätigte den Befund von Schulze, Hasse (1870) andererseits denjenigen von
Lang, liess jedoch die Haare als relativ kurze Bildungen bestehen. Ich (1872) stimmte im Ganzen Hasse's Ansichten bei. Nachdem dann von Paul
Meter u. A. bei verschiedenen Wirbelthieren die Verhältnisse in ungefähr derselben Weise geschildert worden waren, veröffentlichte Hensen (Bemerkungen
gegen die Cupula terminalis Lang, 1878) eine Mittheilung,. deren Ergebnisse er selbst später in folgender Weise zusammenfasse: »Ich hatte für junge aber
bereits fertig entwickelte Fische aus der Reihe der nur 40-45 Mm. lang werdenden Gobiusarten (G. Ruthensparn, minor, microps) nachgewiesen: 1) dass die
Härchen der Crista acustica fast über die ganze Weite des Ampullenraumes hinüberragen, also ein völlig anderes Verhalten zeigen, als dasjenige ist, welches
die Autoren beschreiben, 2) dass im Leben und am frischen Präparat keine Cupula nachzuweisen sei, 3) dass diese zufolge der Fälligkeit der Haare mit der
Spitze sich aneinander zu legen selbst unsichtbarer Weise als feste Substanz nicht vorhanden sein könne, 4 dass sie dagegen sich aus den Haaren durch
das Mittel von Lang, Salpetersäure und Alkohol, bildet, wobei die Haare verschwimmen und Schleim oder Gallerte auftritt.» S. auch Hensen's Physiologie
des Gehörs (Hermann'« Handb. d. Physiologie, Bd. III, Abth. 2, 1880). In dem ersten Bande meiner Monographie über das Gehörorgan der Wirbelthiere
(1881) beschrieb ich wieder wie früher bei verschiedenen Fischen und Amphibien die Cupula welche ich, besonders bei mehreren Fischen (vor Allem bei
Rochen, Haien und Knochenfischen) als scharf begrenzte und regelmässig gestaltete Bildung, in welche die Haare der Haarzellen eintauchen, gesehen und schon
vor dem Erscheinen der üensen'schen Mittheilung beschrieben und abgebildet hatte, weshalb ich zu wenig Rücksicht auf diese nahm; nur bei Proteus sah ich
die Haare weit in das Lumen der Ampullen emporschiessen, welche Erscheinung ich zur Zeit nicht völlig zu erklären vermochte. Daun trat Hensen (Nachtrag
zu meinen »Bemerkungen gegen die Cupula terminalis [Lang]», Arch. f. Auat. u. Phys. 1881 Anat. Abth.) noch einmal gegen die natürliche Existenz der
Cupula auf. Was zuerst die Hörhaare betrifft, so wiederholte er seine Untersuchung an frischen Exemplaren von Gobms v. 10-30 Mm. Länge und kam,
wie es scheint, bezüglich des Verhaltens der Haare zu denselben Ergebnissen, welche schon früher von ihm geschildert worden sind; über das Verhältnis« der
Otolithenhaare zum grossen Otolithen (Lapillus) theilt er mit, dass dieser von den Haaren getragen nur 0,01 Mm. von der Oberfläche des Epithels entfernt liegt
und sich so verhält, wie es in Hensen's Physiologie des Gehörs dargestellt ist, nur zeigen grössere Steine keine Hülle mehr; die von den Autoren beschriebenen
Cupula ähnlichen Bildungen auf der Macula acustica finden sich nicht. Von erwachsenen Fischen wurden Schei e, Aal und Dorsch untersucht, von anderen
Thieren Rana esculenta; wenn man die Ampulle ein wenig comprimirt, kann man die Haare m ihr verlaufen sehen, ebenso mehr oder weniger gut auch an
geeigneten Schnitten; die Haare der Scholle verfolgte er in der geschlossenen Ampulle auf eine Strecke von 0,19 bis 0,2 Mm, die Weite der Ampulle an der
Crista betru- 0 5 Mm die wirkliche Län-e der Haare bestimmt sich in später anzugebender Weise auf 0,4 Mm.; die freigelegten Haare verhalten sich in ihrer
Form wie diejenigen vom Gobius nur sind sie an der Basis'dicker und dennoch viel gestreckter; die längsten von ihm gemessenen massen 0,15 Mm. Die Hörhaare
des Frosches lassen sich nicht bei geschlossener Ampulle erkennen, freigelegt sah er deren von 0,12 Mm.; die wirkliche Länge wird etwa 0,2 Mm. sein; jede
Bewein* des Wassers wirrt diese Haare in einander, sie bilden dann ein compactes Gitter, das an die Wandung anklebt oder abreisst und forttreibt; ein Ausziehen
dieser langen feinen Haare durch Ankleben ist nicht in Betracht zu ziehen; während die Haare des Frosches feiner auslaufen, wie die der Fische, sind
ihre Basen doch dicker und schärfer strueturirt. Hensen bestätigt auf das Nachdrücklichste meinen Befund, dass die Basen aus vielen Fäden zusammengesetzt
sind- am optischen Querschnitt lässt sich die Zahl der Fäden, welche ein Haar zusammensetzen, in den an der Basis runden Haaren auf den mittleren
Theilen der'Crista zu 18—20 zählen; die Dicke eines Fadens ergiebt sich zu 0,ooo7 Mm. Dann stellte Hensen die Cupulabildung dar und fand dabei, dass
man das Labyrinth (vom Gobius und Frosch) vor der Behandlung mit Osmiumsäure nicht berühren darf, sonst erhält man keine Cupula; bei der Scholle Hessen
sich aber die Ampullen mit gutem Erfolg vor dem Räuchern mit Osmiumsäure herausnehmen. Wenn Hensen nach diesem Räuchern das Präparat hinterher
etwa 12 Stunden mit Müllerscher Lösung behandelte, war, entgegen den Angaben der Autoren, von einer leichten Ablösung und einem Fortschwimmen der
Cupula keine Rede; in Betreff der angegebenen Schrumpfung der Cupula verweist Hensen auf seine hierauf bezügl. Abbildungen von den Ampullen vom
Gobius • man sieht ' dort von der Crista die, der Schrumpfung der Cupula entsprechend etwas zusammengebogenen Haare in einer nicht unbedeutenden, etwa
0 25 Mm. betragenden Länge ausgehen und dann erst sich in die Cupula versenken, hier biegen sie ab, so dass sie auf der Zeichnung nicht weiter gesehen
werden: auf ihnen ruht als etwas schattenhaftes Gebilde die Cupula. Die Cupula der Präparate von Hensen unterscheidet sich von der z. B. von Retzius be-
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