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sie nicht schon von anderen Forschern bemerkt worden ist. Wie ich weiter hinten nachweisen werde, kommt sie
auch beim erwachsenen Menschen an jedem Gehirne vor. Sie ist in der That nicht nur eine der beständigsten,
sondern auch eine der zuerst auftretenden Windungen des menschlichen Gehirns. Ich habe diese Bildung- hier eine
»Windung» genannt. Sie hat nämlich ungefähr den Bau der umgebenden grauen Partien des Rhinencephalons
oder des Gyrus hippocampi. Nun könnte man vielleicht darüber streiten, ob man die Theile der Oberfläche des
Khinencephalons mit denselben fraglichen Termen zu benennen hat, wie die des Palliums. Eine solche besondere
Unterscheidung durchzuführen, wäre aber nicht ganz leicht, namentlich wenn man alle zum Rhinencephalon gehörenden
Partien des Lobus limbicus berücksichtigen wollte. Deshalb glaube ich, dass es das Richtigste ist, die
Benennungen »Gyrus» und »Sulcus» auch für die Theile des Rhinencephalons zu behalten.
Dass die eben beschriebenen Windungszüge in enger Beziehung zu dem Riechnerven stehen, ist aus ihrer
Lage und Anordnung im Verhältniss zu dem Gyrus olf. lateralis ersichtlich. Sie bilden gewissermassen die zwei
getrennten hinteren Wurzeln dieses Theiles. Ich werde die mediale, halbmondförmig rundliche, hügelartige Windung
Gyrus r/iinencephali semilunaris, und die nach aussen von ihr befindliche Gyrus rhinencephali ambiens
benennen. Die sie beide von einander abgrenzende und die erste Windung rings umgebende Furche mag Sulcus
rhinencephali semiannularis heissen.
Bei der Besprechung der Verhältnisse des Gehirns der Erwachsenen komme ich auf diese Bildungen zurück.
4. Der Randbogen und die ihn umgebenden Theile.
Seitdem Fredeeik Schmidt den Randbogen und dessen Entwicklung zuerst genauer beschrieben hat, ist
dieses Gebilde von allen Forschern, welche den Hirnbau und die Hirnentwicklung eingehender behandelt haben,
mehr oder weniger ausführlich berücksichtigt worden, so dass sich jetzt schon mehrere übersichtliche Darstellungen
davon finden. Ich betrachte es deshalb als urmöthig, mich hier ausführlich darüber zu äussern, daher ich, unter
Hinweis auf meine zahlreichen Abbildungen der verschiedenen Präparate des menschlichen Gehirns aus dem 3.—9.
Monate des intrauterinen Lebens, nur einige Punkte besprechen werde, die mir noch nicht hinreichend erledigt
zu sein scheinen.
Auf der Taf. V habe ich eine ganze Reihe von Medianschnitten des embryonalen menschlichen Gehirns aus
dem 3.—6. Monate zusammengestellt, in denen die Partien des Hirnstammes, welche den Randbogen zum Theil
verbergen, abgetragen worden sind. Auf einigen anderen Tafeln gebe ich dann Abbildungen eben solcher Präparate
aus den folgenden Foetalmonaten.
Der Randbogen (Arcus seu Gyrus primitivus marginalis) tritt bekanntlich sehr früh als ein echter Windungszug
auf, indem ihn die Randbogenfurche (Gefässhaut- oder Ammonsspalte) von innen her abgrenzt. Bald ent-
Avickeln sich aber in ihm eigentümliche Quer- und Längsfasersysteme (Corpus callosum und Fornix), und eine
neue längsgehende Furche theilt die Bogenwindung in zwei dicht neben einander verlaufende Bogen, den inneren
und den äusseren (Arcus seu Gyrus marginalis internus und externus). Zu den Gebilden, die aus dem inneren
Bogen hervorgehen, rechnet man gewöhnlich Fornix (resp. Fimbria) und Septum pellucidum; und zu denjenigen,
die aus, resp. in dem äusseren Bogen entstehen, die Fascia dentata, das Corpus callosum und die auf demselben
liegenden Reste von grauer Substanz (Fasciola cinerea, die sogen. Balkenwindungen von Anders Retzius und
Zuckerkandl, die Striae Lancisi und Tamiaj teette, die Gyri geniculi), ebenso die Gyri subcallosi von Zuckekkandl
(Pedunculi corporis callosi aut.).
Wenn man die Entwicklung des Randbogens verfolgt, so erkennt man ohne Schwierigkeit, dass diese Anschauung
der Hauptsache nach richtig ist. Es lässt sich jedoch gewiss noch Manches hinzufügen, und zwar nicht
nur in Betreff der feineren Details, sondern auch in einigen wichtigeren Beziehungen.
Am meisten wird offenbar die foetale Ausbildung des Randbogens durch die Entwicklung des Corpus callosum
beeinflusst. Die Frage von der Entstehung dieser grossen Quercommissur ist schon mehrmals der Gegenstand
von Untersuchungen gewesen. Das Problem bietet in der That nicht unbedeutende Schwierigkeiten dar,
welche ihren Grund jedoch zumeist in dem Mangel an hinreichendem gutem Material haben. Absolute Sicherheit
wäre nur möglich zu gewinnen, wenn man die Entwicklung des Gebildes durch alle ihre verschiedenen Phasen an
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