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http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0024
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Schnittserien mit dem Mikroskope verfolgen könnte. Es lässt sich also nur durch die Zusammenstellung vieler Stadien
eine allgemein gültige Auffassung erlangen. Leider sind aber bekanntlich die abortiven Embryonen sehr oft abnorm;
sie gelangen ausserdem in der Regel in etwas macerirtem Zustande in unsere Hände, auch werden sie hin und
wieder bei der Präparation etwas beschädigt. Dies ist nicht selten aus den Figuren und Beschreibungen früherer
Forscher ersichtlich. Die obwaltenden Schwierigkeiten, gutes und hinreichendes Material zu bekommen, sind auch
von dem letzten Erforscher des fraglichen Problems, Marchand, wiederholt hervorgehoben worden. In Folge
dessen muss man die aus solchem Materiale resultirenden Schlüsse mit einer gewissen Vorsicht aufnehmen. Hierbei
ist noch zu berücksichtigen, dass sich die erste Entwicklung des Corpus callosum, die gerade die Lösung des
Problems einschliesst, während einer relativ kurzen Periode abspielt.

Es sind zwei oder eigentlich drei Fragen, welche in Bezug auf das Entstehen und die erste Entwicklung
des Corpus callosum von Interesse sind, nämlich erstens diejenige, ob die zuerst angelegte Partie dem ganzen
Corpus entspricht und sie sich nur durch inneres Wachsthum vergrössert oder ob diese Vergrösserung durch
Juxtaposition neuer Theile an die Enden und Oberflächen stattfindet. Zweitens gilt es zu eruiren, wo das Corpus
zuerst entsteht und in welcher Weise sich das Septum pellucidum bildet, ob durch secundäre Höhlenbildung in
der schon entstandenen soliden Corpusanlage oder durch Annectirung des vor dem Corpus belegenen Gebietes
der Hirnoberfläche. In Betreff der ersten Frage kann ich mich der Anschauung von Fr. Schmidt und von v.
Kölliker u. A. anschliessen, nämlich dass der ganze Balken der Hauptsache nach schon in der Anlage vorhanden
ist; die meisten Thatsachen sprechen hierfür, obwohl der sichere Beweis erst durch eine eingehende histologische
Untersuchung vermittelst der neuen Färbungsmethoden, wodurch die einzelnen Nervenfasern verfolgt werden
können, erbracht werden kann. Die Mittheilungen von Blumenau 1 scheinen zwar gegen die Anlage des Balkens
»in toto» zu sprechen, doch geschieht dies meiner Ansicht nach im Ganzen nicht in überzeugender Weise. Indessen
will ich hervorheben, dass P. Martin (s. u.) durch seine Untersuchungen über die Balkenentwicklung bei
der Katze zu der Ansicht gelangt ist, dass der Balken sowohl durch eine Intussussception von Fasern, wie durch
Apposition wächst, was sich ja mit der angeführten Anschauung gut vereinigen lässt.

Das zweite Problem bietet noch grössere Schwierigkeiten dar. Nach einigen Forschern (v. Kölliker u. A.)
entsteht das Septum pellucidum dadurch, class das noch sehr kleine Feld vor und unter der ersten Balkenanlage,
welches anfangs vorn offen ist, von der Balkenanlage allmählig ringsherum eingefasst wird; nachher wächst der Balken
nach hinten hin in die Länge, und dabei ziehen sich das Septum pellucidum und der Fornix ebenfalls immer mehr in
die Länge. Marchand dagegen 2 scheint in dieser Hinsicht eher einer anderen Ansicht zu huldigen. »In welcher
Weise», sagt er, »die erste Anlage der Höhle des Septum pellucidum zu Stande kommt, ob durch allmähliches Herumwachsen
des Balkenschnabels oder durch Spaltbildung innerhalb der ursprünglich totalen Verwachsung, ist nicht leicht
zu entscheiden. Ich halte jedoch das letztere für wahrscheinlicher und zwar erstens aus dem Grunde, weil die Form
der Balkenanlage im Ganzen bei dem Gehirn P ganz der Verwachsungsstelle des früheren Stadiums entspricht und
nur vergrössert ist, zweitens weil die kleine Vertiefung an der Verwachsungsstelle am unteren Rande durch eine Linie
begrenzt ist, welche dem ursprünglichen Rande der Verwachsungsstelle entspricht. Weitere Gründe ergaben sich aus
dem Verhalten der Durchschnitte. Dafür würde ferner noch der Mangel der Höhle bei Thieren sprechen, bei welchen
die Lückenbildung in der Verwachsungsstelle nicht eintritt». Nun hat aber P. Martin3 durch seine Untersuchungen
über die Balkenentwicklung bei der Katze festgestellt, dass das Cavum septi pellucidi nicht nur an Stelle der sich
zurückbildenden verdickten Schlussplatte entsteht, »sondern auch noch aus jenem Teile der Längsspalte des Grosshirnes
, welcher (vom 6 Cm. langen Embryo ab) durch den weiter sich ausdehnenden Balken umschlossen wird.
Das Cavum septi ist ein Subduralraum». »Es hat lange Zeit» fügt er hinzu, »eine ventronasale Oeffnung».

Wo entsteht die erste Anlage des Balkens? Nach Mihalkovics nähern sich die medialen Hemisphärenwände
vor der Schlussplatte gegenseitig, verwachsen und lassen dann die Balkenfasern herübertreten. »Der Balken und
das Septum pellucidum», sagt v. Kölliker, »entsteht dadurch, dass vor der Schlussplatte und vor dem Monro'-
ischen Loche die medianen Wandungen der beiden Hemisphären in einer gewissen Ausdehnung verwachsen.» Nach
Marchand nimmt beim Menschen die erste Anlage des Balkens den vordersten Theil des Randbogens unmittelbar
oberhalb, am oberen Ende, der verdickten vorderen Schlussplatte ein; die Verwachsung, sagt er, schliesst sich
»unmittelbar an das obere Ende der Schlussplatte an und beginnt, wie ich vermuthe, an derselben, um dann
weiter nach vorn vorzuschreiten.» Bei der Katze aber entsteht, nach Martin, die erste Anlage des Balkens in

1 L. Blumenau, Zur Entwicklungsgeschichte und feineren Anatomie des Hirnbalkens. Archiv f. mikroskop. Anatomie, Bd 37, 1891.

2 F. marchand, Ueber die Entwickelung des Balkens im menschlichen Gehirn. Archiv, f. mikroskop. Anatomie, Bd 37, 1891.

3 Paul Martin, Bogenfurche und Balkenentwickelung bei der Katze. Inauguraldissertation in Zürich. Jena 1894.


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