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furche» tritt nach Iiis schon in der 5. Woche auf und bleibt oft bis in den 4. Monat hinein bestehen. An
Frontalschnitten des Gehirns (Taf. VII, Fig. 1—3) ist sie in schöner Ausbildung zu sehen, und auch an Medianschnitten
(Taf. IV, Fig. 1—8 und 10 und Taf. V, Fig. 1—4) ist sie gut wahrnehmbar. Sie verläuft in der That
gewöhnlich in derselben Richtung als das vordere Ende der eigentlichen Bogenfurche. Ich bin jedoch keineswegs
geneigt, diese Furche als eine, wenn auch unterbrochene Fortsetzung der Bogenfurche nach vorn hin zu
betrachten. Die eigentliche Bogenfurche ist offenbar von einer ganz anderen Art und Bedeutung als die transitorischen
Furchen, welche von ihr radiiren. Die »vordere Bogenfurche» von His gehört meiner Ansicht nach zu
dem System der eigentlichen transitorischen Furchen oder Falten; deshalb möchte ich sie nicht gerne als »vordere
Bogenfurche», sondern lieber als vorderste mediale transitorische Furche oder »vorderste Radiärfurche» der medialen
Wand bezeichnen.
Was wird nun aus allen diesen von der Bogenfurche radiirenden Furchen? Bekanntlich stellen sie wirkliche
Faltungen der dünnen medialen Hirnwand dar. Bei der fortlaufenden Entwicklung verdickt sich all-
mählig auch diese Wand, und die Falten werden dabei ausgeglichen. Es verschwinden dann alle diese Radiärfurche
?!. Ich stimme darin mit Cunningham überein. Er betrachtet zwar zwei der hintersten Furchen als »Pra3-
cursors» der späteren, eigentlichen Fissura calcarina und der Fissura occipito-parietalis, indem er an den Stellen, wo
die transitorischen Falten vorhanden waren, die späteren beiden Fissuren auftreten sah. Es kann in der That
nicht verneint werden, dass die »Vorläufer» und die späteren betreffenden Furchen einander in ihren Lagenverhältnissen
sehr ähneln, und es lässt sich, da man die ganze Entwicklung einer Furche nicht speciell verfolgen
kann, kaum beweisen, dass diese letzteren sich nicht zuweilen direct aus den ersteren herausbilden können. Die
Reste der »Vorläufer» lassen sich in der Regel durch den ganzen 4. und ein Stück in den 5. Monat hinein als
directe Fortsetzungen nachweisen. Im 5. Monat, zuweilen aber auch schon im 4., tritt jedoch auch hier eine
Obliteration ein, welche die »Vorläufer» allmählig verdrängt und verwischt. In nicht seltenen Fällen wird diese
Obliteration so stark, dass man kaum noch eine Spur von den vorigen Falten wahrnimmt. Bald wird die eine,
bald die andere, bald werden sogar — was ich gegen Cunningham hervorhebe — beide Falten so verwischt, dass
man von ihnen entweder gar nichts mehr, oder nur noch schwache Andeutungen findet (Fig. 18, 19, 22, 25 der
Taf. V). Bei der Untersuchung von frontalen Schnitten des Occipitallappens solcher Gehirne erkennt man dann
an dieser Stelle kaum eine Spur von einer Einbiegung der Hirnwand (Fig. 20, 21 der Taf. XXXII). Ich habe Gehirne
gesehen, wo jede Spur der fraglichen Falten verschwunden war. Da jedenfalls eine Obliteration, wenn auch
keine so vollständige, die Regel ist, so bin ich geneigt, auch diese beiden »Vorlaufei*» als echt transitorisch zu
betrachten, obwohl sich im 5. und 6. Monate etwa an ihrer Stelle die beiden genannten bleibenden Fissuren —
als neue Falten — herausbilden. Die echte Fissura calcarina und Fissura parieto-occipitalis sind also nicht so
frühe Bildungen, wie gewöhnlich angenommen wird, sondern, wie Cunningham dargelegt hat, spätere Erscheinungen,
die der Lage nach gewissermassen an die älteren transitorischen Falten anknüpfen, sich aber eigentlich erst im
5. und 6. Monate von Neuem entwickeln.
Was die Fiss. calcarina betrifft, so hat Cunningham sicher darin Recht, dass ihre hintere Abtheilung nicht
selten aus einer besonderen Anlage, einer abgetrennten Grube, entsteht; dies ist jedenfalls aber nicht immer der
Fall, und es scheint mir, als ob man in den Schlüssen zu weit geht, wenn man daraus eine solche Grundverschiedenheit
der beiden Abtheilungen herleiten will, wie er es gethan hat. Dass die hintere Abtheilung eine geringere
Tiefe als die vordere, der Stamm, hat und keine bleibende innere Einbuchtung der Hirnwandung verursacht, ist
ja längst bekannt; dieses hängt natürlich mit der Thatsache zusammen, dass das Hinterhorn, v. A. in den späteren
Stadien der Entwicklung, in der Regel nicht so nahe an den Occipitalpol reicht.
Was die übrigen transitorischen Furchen der medialen Wand betrifft, so verschwinden sie sämmtlich, und
zwar in der Regel schon im 4. Monat, obwohl einzelne von ihnen, wenigstens theilweise, noch im 5. Monate
vorhanden sein können. Sie sind aber in ihren späteren Stadien kaum mehr zu erkennen, und man frägt sich
nicht selten, ob die in der zweiten Hälfte des 4. und im 5. Monate hier vorkommenden Furchen wirklich Reste
der transitorischen Radiärfurchen sind oder vielleicht neu entstandene transitorische Furchen darstellen. Sie zeigen
nämlich eine solche Unregelmässigkeit, v. A. einen so differenten Verlauf — nicht radiär, sondern vielmehr,
im Verhältniss zum Corpus callosum, concentrisch — sowie gewöhnlich, besonders gegen das frontale Ende des
Gehirns hin, eine solche Complication und treten in einer so bedeutenden Anzahl auf, dass man in ihnen, wie
verschiedene der in den Taf. IV und V abgebildeten Gehirne darthun, kaum mehr die Nachkommen der
Radiärfurchen zu erkennen vermag. Ich bin in der That eher geneigt, diese dichten und complicirten Furchen an
der medialen Fläche des Frontallappens, wie sie in den Fig. 14, 18, 20 und 22 der Taf. IV sichtbar sind, eher
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