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Durch die eingehenden und wichtigen Arbeiten von Pansch, Ecker, Bischoff, Reichert, v. Mihalkovics,
v. Kölliker, Romiti, Mingazzini und Cunningham wurde die ontogenetische Entwicklung der permanenten Furchen
und Windungen des Menschengehirns in ihren Hauptzügen erkannt und beschrieben. Wegen der zahlreichen
Variationen erwies es sich aber als nothwendig, über ein grosses und gut gehärtetes Material zu verfügen. Die
Einsammlung und Präparation eines solchen MateriaJes ist aber mühsam und schwierig, weshalb sich die betreffenden
Forseher im Allgemeinen mit einem ziemlich beschränkten Material begnügen mussten. Diejenigen,
welche die grösste Anzahl von foetalen Gehirnen zur Disposition hatten, waren offenbar Ecker, Mingazzini
und Cunningham. Ersterer Forscher erwähnt zwar nicht genau, wie viele foetale Gehirne er benutzt hat, aus
seinen Angaben geht aber hervor, dass ihm 32 Gehirne aus dem 5—8 Monate (12 aus d. 5. M., 9 aus dem
6. M., 6 aus dem 7. M., und 5 aus dem 8. M.) zur Verfügung gestanden haben. Mingazzini giebt die Anzahl
seiner Foetusgehirne auf 42 an. Cunningham rechnete die Hemisphären, von denen er 104 vom Ende des 2.
Monats bis zur Reife besass, mithin er über 52 vollständige Gehirne verfügte; wenn man aber noch seine 24
Hemisphären ausgetragener Früchte mitrechnet, so standen ihm im Ganzen 64 Gehirne von dem Ende des 2. bis
zum Ende des 9. Monats zur Disposition.
Meinerseits habe ich 155 gehärtete Gehirne von menschlichen Embryonen und Foetus aus dem 2. bis zum Ende
des 9. Monats in meinem Besitz. Da aber, besonders in den früheren Monaten, stets eine Anzahl Gehirne von Aborten
krankhaft und nicht normal gebaut sind, muss man von der Gesammtzahl recht viele abrechnen. Ich glaube der Wahrheit
am nächsten zu kommen, wenn ich von meinen Gehirnen etwa 35 als nicht normal gebaut abrechne, wo dann
mein Material aus 120 Gehirnen — 240 Hemisphären — besteht, die so normal gebaut sind, dass sie für die vorliegende
Untersuchung mit Vortheil benutzt werden konnten. Meine Sammlung foetaler Gehirne ist also bedeutend grösser als
diejenigen meiner Vorgänger. In mehreren Hinsichten ist mir dies von Nutzen gewesen, doch habe ich mehrmals
gefunden, dass mein Material von einzelnen Stadien nicht hinreichend war. Ich kann, nach 27 Jahren,
die folgende Aeusserung von Ecker wiederholen: »Ueberhaupt kann bei der ausserordentlichen Verschiedenheit,
welche hinsichtlich des ersten Auftretens der Furchen sowohl in Betreff der Art als der Zeit der Entstehung besteht
, nur aus einer sehr grossen Reihe von Beobachtungen sich das Unwandelbare ergeben, und es werden noch
mehrfache Beiträge nothwendig sein, bis wir zu einem sichern Abschluss gelangen.»
Was die Bezeichnung des Alters der Gehirne betrifft, so habe ich im Ganzen die von Ecker angegebene
Berechnung benutzt. Indessen habe ich gar zu oft gefunden, dass die Körperlänge des Foetus und die Entwicklung
seines Gehirns nicht gleichen Schritt halten; dies geht nicht nur aus dem gewöhnlichen Verhalten des Gehirns
bei Zwillingen, die ja in der Regel eine recht verschiedene Körperlänge haben, sondern auch aus der That-
sache hervor, dass das Gehirn nicht selten bei einsamen Früchten von einer geringeren Körperlänge mehr
entwickelt ist, als bei anderen, die bedeutend länger sind. Es spielen hier offenbar Vererbungs- und Ernährungsverhältnisse
eine nicht unwichtige Rolle. Man muss diese Thatsache stets vor Augen haben, damit man nicht
unrichtige Schlüsse ziehe: Im Grossen und Ganzen sind die EcivER'schen Altersberechnungen jedoch anwendbar.
Was die Methoden der Härtung betrifft, so habe ich diese Frage schon im Vorwort kurz berührt, so dass
ich hier nur Einiges nachzuholen brauche. Die beste Methode ist meiner Ansicht nach die von mir seit 1887
benutzte 1 Injection von Chrom-Essigsäure (mit Zusatz von etwas Ueberosmiumsäure, also einer modincirten
Flemming'schen Mischung), und zwar entweder in die Nabelgefässe, oder in das Herz (die Aorta). Das sonst so
Aveiche Foetusgehirn erstarrt dadurch sogleich, so dass es nach einer Viertelstunde herausgenommen werden kann.
Es behält, v. A. dann, wenn sich bei der Injection der Kopf in richtiger, symmetrischer Lage befunden hat, seine
schöne, natürliche und symmetrische Form und bekommt, wenn es ganz frisch gewesen ist, eine härtlich
elastische Consistenz, ungefähr derjenigen des Kautschuks gleich; die Farbe der grauen Substanz wird grüngrau
. Das Präparat kann man in sehr schwachem Weingeist oder, noch besser, in schwacher Formalinlösung
(O.i %) für lange Zeit oder »für immer» aufbewahren. Das Gehirn lässt sich gut schneiden, färben und präpariren.
Ausserdem habe ich auch andere Methoden benutzt: Weingeist, Chlorzink, Bichromas kalicus, Salpetersäure,
Formalin etc. Von diesen erwies sich die Härtung in 3—4 procentiger Lösung von Bichromas kalicus (mit, oder
ohne Sublimatzusatz), namentlich für Gehirne aus den ersten Monaten, als recht vortheilhaft, doch wird die Substanz
der Gehirne etwas brüchig. Die Härtung in Salpetersäure zeigte sich für das Foetusgehirn als nicht günstig,
weil die Substanz desselben weich und brüchig wurde. Das sonst so nützliche Formalin ist für Foetusgehirne
nicht zu empfehlen; die Gehirne werden zwar conservirt, schwellen aber stark an, werden gelatinös und erhalten
1 Gustaf Retzius, Om metoderna att konservera hjernor, Verhandl. des Biologischen Vereins in Stockholm, I3d I, März 1889,
N:o G, 18.
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