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weiter fortgeschritten, was schon aus den Abbildungen hervorgeht, so dass ich die Geschichte dieser Furchen im
Einzelnen nicht anzuführen brauche. In der zweiten Hälfte des 8. Monates wird diese Ausbildung der schon
angelegten Furchen und Windungen noch viel ausgeprägter, so dass ihre Anordnung recht typische, sogar
schematische Formen annimmt. Als ein charakteristisches Beispiel führe ich hier das auf der Taf. XXIX abgebildete
Gehirn an, von welchem auch auf der Taf. XXI zwei Ansichten (Fig. 2 und 3) gegeben sind. Von diesem
Stadium ist auch auf der Taf. XXIII in den Fig. 3—6 ein Gehirn wiedergegeben. Ebenso finden sich auf der
Taf. XX, Fig. 1—6, auf der Taf. XXIV, Fig. 1—3 und auf der Taf. XIX, Fig. 7, 8, Gehirne aus diesem Stadium
dargestellt. Man findet hier also, dass der Sulcus centralis in Betreff der Ausdehnung, der Tiefe und der
Biegungen immer weiter fortgeschritten ist. Dies ist auch hinsichtlich des Sulcus prcecentralis und des Sulcus
postcentralis hervorzuheben. Der Sulcus frontalis superior stellt entweder eine beinahe gerade, einheitliche, oder eine
aus mehreren kurzen Furchenstücken zusammengesetzte, scharf markirte Furche dar, wodurch der Gyrus frontalis
superior sich als eine ausgeprägte sagittale Windung hervorhebt. Auch der Gyros frontalis inferior ist nunmehr
in seinen variirenden Formen angelegt; ich unterlasse aber hier die Besprechung desselben, um ihn zusammen
mit der Entwicklung der Fossa Sylvii und der Opercula zu behandeln. Ich erwähne nur, dass sich am fronto-
parietalen Operculum, in der Nähe des unteren-äusseren Randes, eine Reihe kleiner, typischer Furchen in der
Anlage befinden. Der Sulcus interparietalis mit den beiden Lobuli, der Gyrus sujjramaryinalis und der Gyrus
angularis sind schön ausgeprägt. Diese Furchen und Windungen, ebenso diejenigen der medialen und der unteren
Fläche, bieten, wie oben hervorgehoben wurde, in ihrer reinen und einfachen Gestalt eine so typische Anordnung
dar, dass gerade zu dieser Zeit die Grundlagen der Morphologie des Menschenhirns, und zwar in allen
ihren Variationen, am übersichtlichsten vorliegen. Am Occipitallappen und am Ende des Temporallappens ist
aber die Furchenbildung noch wenig vorhanden; an der medialen Fläche des ersteren Lappens sind gleichwohl
die Fissura calcarina und die Fissura parieto-occipitalis in ihren Hauptzügen fertig angelegt (Fig. 5 und 6 der
Taf. XXIX; Fig. 5 und 6 der Taf. XX). Ja, sogar ein Einschneiden der Fissura parieto-occipitalis in den Sulcus
interparietalis ist ausnahmsweise schon vorhanden.
Schon in diesem Monate fangen aber die secundären und sogar die tertiären Furchen an, sich auszubilden,
Avodurch beim Uebergang in den 9. Monat die schöne typische Anordnung sich allmählig verwischt und undeutlicher
wird. Das Gehirn gewinnt hierdurch hinsichtlich seiner Furchen und Wendungen das Aussehen des fertigen
, erwachsenen Gehirns, nur in verkleinertem Masstabe, und es lassen sich in einer hinreichenden Reihe von
Exemplaren des Foetusgehirns von dem Ende des 9. Monates alle die Variationen der Furchen- und Windungsbildung
darlegen, welche bei dem erwachsenen Gehirn vorhanden sind. Zwar scheinen Gehirne vorzukommen,
welche im 9. Monate eine etwas verspätete Ausbildung und mehr den Typus des 8. Monates darbieten; da man
aber betreffs der Altersbestimmung von der Körperlänge ausgehen muss und diese offenbar eine etwas trügerische
Basis darbietet, so ist es sehr schwer, in dieser Hinsicht etwas Sicheres zu sagen. Aus dem 9. Monate habe ich
auf den Tafeln XXV, XXX, XXXI und XXI (Fig. 7, 8) einige Gehirne abbilden lassen, welche den Endstadien
der foetalen Hirnentwicklung angehören. Es dürfte sich kaum lohnen, sich bei diesen Gehirnen über die Furchen-
und \\ indungsanordnung eingehender zu äussern, da dieses zur Besprechung der ganzen Lehre von der schliess-
lichen Anordnung in ihren verschiedenen Varianten führen würde, weshalb ich mich in Uebereinstimmung mit
meinen oben angegebenen Prinzipien darauf beschränke, auf die Figuren hinzuweisen.
Auf manche einzelne, hierauf bezügliche Fragen komme ich bei der Darstellung einiger besonderer Probleme,
v. A. am erwachsenen Gehirn, zurück. —
Nach diesen kurzen, übersichtlichen, sich auf die Tafeln beziehenden Darstellungen der gesammten Furchen-
Entwicklung des foetalen menschlichen Gehirns kehre ich nun zur Beschreibung einer besonderen Partie desselben
zurück, welche ich hier oben nicht berücksichtigt habe. — Es ist dies die Fossa Sylvii mit der Insula Reili und
der nächsten Umgebung derselben, der Opercula, mit Berücksichtigung der Entwicklung dieser Theile während
der Embryonal- resp. Foetalzeit. Dies Problem ist schon öfters von Hirnanatomen untersucht und besprochen
worden, und in der Hauptsache sind wohl die äusseren Erscheinungen auch schon richtig beschrieben; doch bietet
das fragliche Problem so viele interessante, für den Bau des erwachsenen Gehirns wichtige Details dar, dass ich
nicht umhin kann, auf dasselbe etwas ausführlicher zurückzukommen, um so viel mehr, als meiner Ansicht nach
einzelne Fragen auch von den späteren Hirnforschern zum Theil unrichtig beantwortet und einige Partien dieser
Region zu wenig berücksichtigt worden sind.
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