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Zur Morphologie des entwickelten Gehirns.
i. Die Hirnventrikel und ihre Umgebungen.
Indem ich jetzt zur Darstellung meiner Beiträge zur Morphologie des entwickelten Gehirns übergehe, fange
ich bei dem hinteren Theile an, um zuerst die Stammtheile zu besprechen. Dabei werde ich nach Möglichkeit
die von His und der Nomenclatur-Commission vorgeschlagenen Bezeichnungen benutzen. Indessen sehe ich mich
veranlasst, hier und da neue Namen einzuführen. Es giebt nämlich am menschlichen Gehirne, wie ich bei
meinen Untersuchungen gefunden habe, einige Partien, welche bisher zu summarisch, ja sogar oberflächlich und
schematisch behandelt worden sind. Ein so überaus wichtiges Organ wie das Menschenhirn verdient doch auch
in den feineren Details seiner Morphologie genau eruirt und beschrieben zu werden, v. A. wenn sich diese Details
als constante Vorkommnisse erweisen. Aber auch die Kenntniss der wesentlichen Variationen solcher Theile
ist für die Morphologie eines derartigen Organs von Interesse. Ich habe mich nun bemüht, v. A. solche Partien
des erwachsenen Gehirns, die mir zu wenig berücksichtigt erschienen, genauer, und zwar nicht nur mit blossem
Auge, sondern auch mit der Loupe zu erforschen. Dagegen liegt es nicht im Plane dieser Arbeit, die mikroskopischen
Verhältnisse zu besprechen, weshalb ich diesmal vollständig davon abstehe.
l. Das Rautenhirn (Rhombencephalon).
Das Rautenhirn umfasst nach der Auffassung von His und der Nomenclatur-Commission die Medulla oblongata,
den Pons, das Cerebellum und den Isthmus. Hinsichtlich ihrer gröberen morphologischen Entwicklung sind diese
Partien durch die Forschungen mehrerer Anatomen, v. A. durch die von von Kölliker und His, so weit eruirt
worden, dass ich auf sie nicht einzugehen brauche, sondern, an die Darstellungen dieser Forscher anknüpfend,
hauptsächlich die Verhältnisse des entwickelten Rautenhirns besprechen will. Ich kann indessen nicht umhin,
auf einige meiner Tafeln (Taf. I, II, IV etc.) hinzuweisen, wo manche Figuren zur Erläuterung der fraglichen
Entwicklung dienen können.
Ich gehe hiermit zur Darstellung des vierten Ventrikels über. Seine hintere Begrenzung bilden bekanntlich
die beiden Clava? der Fasciculi graciles, welche am foetalen Gehirn (Taf. XXXV, Fig. 1—5; Taf. XL, Fig. 1)
als rundlich-ov;ile, unter einander stark divergirende Höcker erscheinen und nach aussen-hinten von den ebenfalls
höckerigen Tubercula der Fasciculi cuneati begrenzt sind, an welche hinten-aussen wieder die Tubercula der
Fasciculi Rolandi stossen. Die Decke des vierten Ventrikels, deren erste Entwicklung v. A. von Kollmaxn,
v. Kölliker und Iiis in eingehender Weise eruirt worden ist, bleibt im ausgebildeten Zustande bekanntlich zum
grossen Theil ependymatös. An ihr entstehen schon früh, im 4., ja zuweilen sogar schon im 3. Monate Durchbräche
, Löcher, und zwar ein mediales, das von Magendie entdeckte, nach ihm benannte Foramen Magendii, und
zwei laterale, welche zuerst Luschka beschrieben hat und die deshalb oft als »Foramina Luschkas» bezeichnet
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