Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0056
38

worden sind. Die natürliche Existenz dieser Oeffnungen wurde lange angezweifelt, und zwar von den höchsten
anatomischen Autoritäten. So wollte z. B. v. Köllikee das natürliche Vorkommen des Foramen Magendii nicht
annehmen. Das Ventrikelsystem des Gehirns und Rückenmarks sollte nach ihm von den Subarachnoidalräumen
abgesperrt sein, mit denen es nicht direct zusammenhängt. Key und ich führten, um diese Frage zu lösen, im
Jahre 1870 eine grosse Reihe von Injectionsversuchen (mit gefärbten Leimlösungen) an menschlichen Leichen, und
zwar von den Subarachnoidalräumen des Rückenmarks und bei ungeöffnetem Schädel, aus. Es gelang uns, zu voller
Evidenz darzulegen, dass das Foramen Magendii beim Menschen normalerweise existirt und eine offene Verbindung
zwischen dem vierten Ventrikel und den Subarachnoidalräumen bildet. Zugleich bestätigten wir, ebenfalls v. A.
durch Injectionsversuche, das normale Vorhandensein der von Luschka erwähnten, aber sonst kaum beachteten
seitlichen Löcher des vierten Ventrikels, welche an den Blumenkörben Bochdalek's ihren Sitz haben und noch
eine, sogar paarige Verbindung der Recessus laterales des vierten Ventrikels mit den Subarachnoidalräumen
darstellen; wir beschrieben diese drei Oeffnungen genauer und lieferten Abbildungen von ihnen (1875).1 Zehn
Jahre nachher bestätigte Carl Hess, an Schnittserien von Foetus, Neugeborenen und Erwachsenen, noch einmal
die von mir und Key erlangten Resultate. Er untersuchte im Ganzen die Gehirne von 7 Embryonen, 10 Neuge-
bornen und 30 Erwachsenen.

Bei den von mir für diese Arbeit untersuchten 100 Gehirnen von Erwachsenen habe ich in 98 Fällen das
Foramen Magendii offen gefunden und nur an 2 Gehirnen jede solche Oeffnung vermisst, indem hier die bedeckende
Haut keine Löcher zeigte (Taf. XL, Fig. 4). Bei den übrigen 98 Gehirnen war die Oeffnung indessen
von sehr verschiedenem Umfang; bald bildete sie ein weites, dreieckig-ovales, bald nur ein kleineres, kaum steck-
nadelknopfgrosses Loch. Nach hinten von der Oeffnung sind stets in verschiedenen Richtungen mehr oder weniger
zahlreiche subarachnoidale Fäden und Häutchen ausgespannt; diese Fäden und Häutchen können zuweilen der Oeffung
ganz nahe liegen und sie verengern, ja sie sogar zum Theil verschliessen. Der unteren Fläche des Vermis entlang
zieht, wie Key und ich beschrieben haben, eine mehr oder weniger lange, häutige, der Pia ansitzende Zunge,
wrelche mit zwei parallel neben einander laufenden, zottenführenden Plexus besetzt ist und eine von dem Plexus am
Dache des vierten Ventrikels ausgehende hintere Fortsetzung darstellt. Diese Zunge mit den Plexus ist übrigens
von verschiedener Grösse; zuweilen kann sie recht weit nach hinten hin ragen, zuweilen ist sie aber nur kurz;
auch die Plexus sind von verschiedenem Umfang und bald ganz symmetrisch angeordnet, bald nach der einen
Seite hin verlaufend (Taf. XXXIV, Fig. 1—3). In Folge der Anordnung der Pia an den beiden Tonsillen kann
man gewissermassen, was auch geschehen ist, von einem »Kanäle» und nicht nur von einem Loche sprechen; die
Berechtigung hierzu ist indessen mehr scheinbar; die Hauptsache ist jedenfalls die, dass in den meisten Fällen
(98 von 100) für die Cerebrospinalflüssigkeit der Ventrikel eine wirkliche Oeffnung hier vorhanden ist.

Offenbar entsteht das Foramen Magendii recht früh. Ich habe es schon an sagittalen Schnittserien von
menschlichen Embryonen vom Anfang des 4. Monates ausgebildet gefunden.

Am unteren Umfang des Foramen Magendii befindet sich bekanntlich in manchen Fällen der sogen. Obex,
welcher als ein kurzer, gebogener Strang von Hirnsubstanz nach vorn von den beiden Clavas ausgespannt ist.

1 Ich habe diese Thatsachen hier nur in kurzen Zügen angeführt und verweise hinsichtlich der näheren Details auf Key's und meine
Arbeit (Studien in der Anatomie des Nervensystems und des Bindegewebes, Vol. I, 1875). Zehn Jahre nach dem Erscheinen unseres Werkes
veröffentlichte Herr Carl Hess seine Abhandlung über dieses Thema. Da dieser Autor, welcher zu fast denselben Ergebnissen wie wir gekommen
ist, sich geringschätzend über unsere jedenfalls ebenso sorgfältigen und beweiskräftigen Untersuchungen (die Injectionsversuche!) wie
die seinigen geäussert hat, so kann ich nicht umhin, ihm, obwohl erst spät, eine kurze Antwort zu geben. Herr Hess sagt z. B.: »Die verschiedenen
Injectionsmethoden konnten eben so zu keinem Ziel führen, da die Ergebnisse der VlRCHOW'schen und kölliker'sehen Untersuchungen
denen von Key und Retzius gerade entgegengesetzt sind» (!). Es wäre doch in dem wissenschaftlichen Streben nach Wahrheit eine
beklagenswerthe Situation, wenn man deshalb nicht zum Ziel kommen sollte, weil von anderen Forschern vorher entgegengesetzte Resultate
erlangt sind! Meine und Key's positive Resultate, welche in mancherlei Weise und unter guten Cautelen (äusserst gelindem Injectionsdruck etc.)
erhalten worden sind, sollten also, nach der Meinung Herrn Hess', durch die viel früher und nicht unter den gleichen Cautelen ausgeführten
Untersuchungen anderer Forscher in Zweifel gezogen werden, nur weil die Ergebnisse dieser Untersuchungen negativ ausgefallen waren!

Wann würde man wohl in einem solchen Falle in wissenschaftlichen Dingen zum Abschluss kommen? Beinahe in jeder Frage giebt
es, wenn man die Geschichte überblickt, streitige Meinungen. Sollen ältere Angaben die späteren, mit besonderer Sorgfalt und ver-
vollkomneten Methoden ausgeführten Untersuchungen eliminiren und ihre Ergebnisse umstürzen, nur weil sie anders ausgefallen sind, —
dann kommt man auf dem Wege zum Ziel wohl kaum einen Schritt weiter!

Herr Hess äussert ferner: »Key und Retzius bogen gewaltsam die Medulla oblongata vom Kleinhirn ab, um das Loch zu sehen».
Dieses ist vielleicht in einzelnen Fällen geschehen, so z. B. an dem Gehirn, von dem wir eine Abbildung des Foramen Magendii gaben
gerade um dasselbe in voller Ausdehnung zu zeigen. Uebrigens war aber keine »gewaltsame», oft nicht einmal eine »vorsichtige», sondern
gar keine Abbiegung der Medulla oblongata erforderlich, um das Loch zu sehen. Ich könnte Herrn Hess antworten, dass er wohl auch
selbst bei der Herausnahme des Kleinhirns »Gewalt» angewandt hat, so dass eine Zerreissung der Deckhaut eingetreten ist — er hätte das
Gehirn eigentlich in situ im Schädel an Schnittserien untersuchen müssen! Unsere zahlreichen Injectionen von erstarrenden Leimlösungen
gaben in dieser Hinsicht viel sicherere Resultate, da das Gehirn dabei im ungeöffneten Schädel lag. Herr Hess hat übrigens nur 30 Gehirne
von erwachsenen Menschen untersucht. Unsere Untersuchungsreihe war weit grösser. — Auch veröffentlichten wir unsere ersten Injections-
ergebnisse schon im Jahre 1870 (s. Nord. Medicinskt Arkiv, Bd II; s. auch Bd VI) - - also früher, und nicht, wie Herr Hess sagt später
als quincke. Die Versuche von quincke waren offenbar vielmehr von den unsrigen veranlasst und übrigens an Thieren ausgeführt.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0056