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medulläres (S. acusticae) beeinflusst wird. Die Wechselung in dieser Ausbildung ist in der That so gross, dass
sichtbare Striae vollständig fehlen oder sich ihrer bis zu zwölf oder darüber finden können, und dies bei bedeutender
Variation . in der Anordnung, die bald mehr symmetrisch, bald recht unsymmetrisch erscheint. Selten
sind die Striae auf beiden Seiten ganz gleich. Stilling giebt an, dass sie selten ganz fehlen, d. h. an der Oberfläche
nicht sichtbar sind; ein solches Verhalten habe ich in manchen Fällen gefunden, ohne dass ich deshalb
eine gewisse Procentzahl angeben kann. In den Fig. 6, 7 und 10 der Taf. XXXV habe ich einige solche Fälle
wiedergegeben. Dann kommen Rautengruben vor, wo nur eine schwache Andeutung einer oder einiger Striae,
eine kleine Emporhebung des Bodens, auf der einen oder auf beiden Seiten sichtbar ist (Fig. 8 und 14 der
Taf. XXXV), und zwar entweder eine Andeutung der Striae transversales, welche direct nach dem Boden der Recessus
laterales ziehen, oder der Stria obliquce (die »Klangstäbe»), welche nach den Foveae anteriores gehen, oder aber
der Stria longitudinales, welche ich in einzelnen Fällen längs des Sulcus medianus bis zum Locus coeruleus verlaufen
sah (Fig. 2 der Taf. XXXVI). Weiter kommen Formen vor, in welchen aus dem Sulcus medianus der Pars
intermedia beiderseits eine triangulär gestaltete oder gabelig getheilte, zuweilen durch eine quer über den Sulcus
ziehende Brücke verbundene Wurzel emporsteigt (Fig. 17, 13 und 9 der Taf. XXXV; Fig. 2 und 4 der Taf. XXXVII),
um sich in die Striae transversales fortzusetzen. Und schliesslich giebt es eine Reihe von Fällen, wo sich aus
dem Sulcus medianus mehr oder weniger zahlreiche Wurzeln in sehr verschiedenartiger Anordnung und Anzahl
erheben und nach den beiden Seiten ziehen, um theils an dem Boden der Seitenrecesse ihren Weg zu suchen,
theils nach den Foveae anteriores zu gehen und sich in ihnen dem Blicke zu entziehen. Ich verweise auf die
in Fig. 9, 11, 15 und 12 der Taf. XXXV, die in Fig. 1, 2 und 3 der Taf. XXXVI und die in Fig. 2 der Taf. XL
abgebildeten Präparate. Die Anordnung und der Verlauf der Striae ist übrigens so wechselnd, dass es sich kaum
lohnt, eine eingehendere Beschreibung derselben zu liefern. Nur möchte ich hervorheben, dass die Striae in der
Regel nicht direct aus dem Sulcus medianus, sondern ein wenig nach aussen von ihm hervortauchen (Fig. 9, 11
und 12 der Taf. XXXV), oder wenigstens bei ihrem ersten Emportreten aus der Bodenschicht, ziemlich verborgen
liegen. Dass sie übrigens sehr verschieden dick und stark sind und sich über den Boden der Rautengrube in
wechselnder Weise erheben, ist eine allbekannte Thatsache.
Ich bin zuerst auf die Besprechung der Striae medulläres eingegangen, um hervorzuheben, dass es gerade
die auffallend wechselnde Zahl und Anordnung derselben ist, wodurch die ganze Configuration des Bodens der
Rautengrube so wesentlich beeinflusst wird, dass die Variationen in seinen übrigen Partien grossentheils davon
herrühren. Dies gilt natürlicherweise v. A. der Pars intermedia; da aber die Striae sich auch in die Pars su-
perior hinein erstrecken können und gewisse Theile der Pars inferior in die Pars intermedia hineinragen, so
werden auch diese Theile durch die Anordnung der Striae beeinflusst und verändert.
Was nun die Pars inferior betrifft, so stimmen, so weit ich gefunden habe, alle Darstellungen darin überein,
dass sich hinten-aussen von ihr jederseits eine dreieckige Partie befindet, die seit Alters her als Ala cinerea bezeichnet
Avorden ist, und nach innen-vorn von ihr ein anderes paariges Dreieck vorhanden ist, welches das hintere
(untere) Ende der zu beiden Seiten des Sulcus longitudinalis medianus fossae rhomboideae befindlichen Funiculi
teretes darstellt. Ich führe hier die Beschreibung von Schwalbe wörtlich an, weil dieselbe eine der eingehendsten
ist.1 Die Funiculi teretes, sagt er, »beginnen schmal, zugespitzt am Calamus scriptorius dicht neben der Mittellinie
und verbreitern sich in der hinteren Hälfte der Rautengrube allmählig jederseits zu einem rechtwinkligen Dreieck,
das mit seiner Basis (der kleinen Kathete) an die Striae acusticae grenzt, medial von der Mittelfurche (seiner
längeren Kathete) begrenzt wird, in seiner Hypotenuse endlich die laterale Abgrenzung findet. Es ist dies Dreieck
das Gebiet, in welchem der N. hypoglossus wurzelt. Lateral ist es besonders nahe seiner nach vorn gerichteten
Basis durch eine Grube (Fovea posterior sinus rhomboidalis) begrenzt, welche mit scharfer Spitze ebenfalls
am hinteren Rande der Striae acusticae beginnt, nach hinten sich zu einem Dreieck verbreitert und in demselben
Maasse verflacht, ja sogar ihren Boden leicht hervorwölbt. . . . Man bezeichnet diese graue Partie als Ala cinerea
(cuneus cinereus, eminentia cinerea). Die Lage und Form des Dreiecks sind verschieden von denen des Hypo-
glossus-Dreiecks. Es ist ein stumpfwinkliges Dreieck dessen längste Seite die Abgrenzung gegen das Hypoglossus-
Dreieck übernimmt, dessen spitzer Winkel nach vorn und hinten, dessen stumpfer lateralwärts gerichtet ist. Im Gebiet
dieser Ala cinerea wurzeln der neunte und zehnte Hirnnerv, der N. glossopharyngeus und vagus. Lateralwärts
von der Ala cinerea bleibt endlich in der hinteren Hälfte der Rautengrube ein drittes Dreieck übrig, das äusserlich
keine besondere Auszeichnung besitzt, dessen Kenntniss aber für das Verständniss des Ursprungs des achten Hirn-
1 Gr. Schwalbe, Lehrbuch der Neurologie, 1881.
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