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Nun zeigen die Recessusöffnungen eine Menge von Variationen, in welchen sich zwar kein »Füllhorn» im Sinne Bochdalek
^ findet, aber ganz eigentümliche Formen von Taschen und Schalen vorhanden sind. Diese Formen sind gar
nicht selten, sondern kommen, den Berechnungen nach, welche ich an meinen 100 Gehirnen von Erwachsenen gemacht
habe, wenigstens in einem Drittel der Fälle vor. Beim Foetus scheint die Taschen- oder Schalenform, ungefähr
wie die in Fig. 7 der Taf. XXXVII direct nach der Natur photographirte, die Regel zu sein. Ich werde nun
aus den Gehirnen der Erwachsenen einige der am meisten charakteristischen Formen anführen. Eine solche Form
ist in der Fig. 8. der Taf. XXXVII in doppelter Grösse direct nach der Natur photographirt. Eine andere findet
sich in der Fig. 15 der Taf. XXXVIII abgebildet. In diesen Fällen liegt eine schalenförmige Gestalt vor. In Fig.
9 der Taf. XXXVIII ist eine zugedrückte »Tasche» vorhanden; solche Taschen sind in Fig. 5 der Taf. XLV direct
nach der Natur photographirt. In der Fig. 10 der Taf. XXXVIII sind zwei andere Variationen wiedergegeben, von
denen die eine einer gerunzelten Tasche, die andere einer lang ausgezogenen, abgeplatteten Kleidertasche ähnelt.
In den Fig. 5 und 6 derselben Tafel sind diese Taschen von der hinteren Seite abgebildet und in der Fig. 9 der
Taf. XXXVII direct nach der Natur wiedergegeben. Es sind hier wirkliche »Taschen», Marsupia oder Perce,
gewissermassen von der Natur imitirt wrorden. Die aus der Oeffnung hervorschiessenden Plexus chorioidei waren
in den Präparaten, deren Abbildungen zuletzt angeführt wurden, abgetragen. Es kommen auch Fälle vor, wo
der Rand verdickt ist und wie ein Nervenstumpf aussieht; ein solches Präparat habe ich in Fig. 11 (rechts in
der Fig.) der Taf. XXXVIII abbilden lassen; die Oeffnung w7ar indessen auch hier vorhanden, und die Plexus
hingen aus ihr hinaus.
Wie oben erwähnt wurde, giebt es aber auch Fälle, wo das Ende des Recessus ganz verschlossen geblieben ist,
Einer von den 5 Fällen, die ich an 200 Hemisphären angetroffen habe, ist in Fig. 15 der Taf. XXXV von
hinten her abgebildet; die hintere Wand ist hier abgetragen, und die verschliessende vordere, dünne Haut, welche
einen ziemlich grossen, ovalen Hohlraum einschloss, wiedergegeben. In der Fig. 12 der Taf. XXXVIII ist dasselbe
Präparat von vorn her abgebildet; links in der Figur sieht man von vorn dieselbe Haut, wie in der vorigen Figur;
rechts findet man nach Abtragung der vorderen verschliessenden Wand die die hintere Wand der Höhle bildende
Fläche des Flocculus mit den angehefteten Plexus chorioidei; ich überzeugte mich durch genaue Präparation, dass
diese beiden Recesse vollständig geschlossen waren.
Die Oeffnungen der Recesse, Aperturce laterales ventriculi quarti oder Foramina Luschka, sind also zwar
ihrer Gestalt nach etwas wechselnd, aber beinahe constante und sicherlich, wie die Apertura medialis s. Foramen
Magendii, sehr wichtige Bildungen. Die Seitenöffnungen liegen aber durch den N. glossopharyngeus und den N.
vagus so verborgen, dass man sie ohne weitere Untersuchungen nicht wahrnehmen kann; nur hier und da hängen
einige Chorioidalzotten aus den Spalten zwischen den Nervensträngen hervor (Fig. 13 der Taf. XXXVIII). Ausserdem
sind reichliche Blutgefässe und Subarachnoidalbalken über diese Theile ausgespannt, Man muss deshalb, was
sich am besten an gut gehärteten Präparaten thun lässt, erst die genannten Nerven vorsichtig aufheben und
dann verschiedene kleine Gefässe und Balken entfernen, bevor man die wahre Gestalt der Oeffnungen un(j ihrer
Randsäume, resp. die Marsupien der Recessus, überblicken kann.
Was nun den längs dem Flocculusstiel von der Oeffnung emporziehenden Tamiasaum, die Ttenia anterior
s. superior recessus lateralis, betrifft, so ist von ihm nur wenig zu sagen. Wenn man die membranöse Ependym-
wand abgetragen hat, bleibt am Flocculusstiel stets nur ein schmaler, ebener, dünner Saum zurück (Fig. 5, 6 und
7 der Taf. XXXVIII), der direct in das Velum medulläre posterius übergeht, Bevor ich aber dieses Velum bespreche,
werde ich erst die Beschreibung der Pars superior der Rautengrube abschliessen. In Bezug dieser Partie habe
ich indessen nur wenig Neues zu sagen; sie enthält in der That an ihrer Oberfläche wenige distincte Bauverhältnisse
. Die bekannte rundliche Erhabenheit, welche im Allgemeinen als Eminentia teres bezeichnet wird, ist eine
constante Erscheinung, kann aber verschieden ausgebildet sein. Nun scheint es aber, als ob His mit diesem
Namen das ganze Gebiet der motorischen Kerne bezeichnen will, was vielleicht eine Verwirrung" in den Termini
verursachen würde. Nach oben von den beiden Eminentise (im alten Sinne) trifft man in der Regel eine Ein-
senkung der Medianspalte und der ihr am nächsten belegenen Theile der Rautengrube; es entsteht hierdurch eine
ovale oder mehr langgestreckte Fovea mediana (Fig. 6—9, 11, 13, 14 und 15 der Taf. XXXV). Die zu beiden
Seiten der Eminentiae teretes nach oben von der Area acustica superior belegene, dem Sulcus limitans angehörige
Fovea superior (s. anterior), welche in der Regel eine halbmondförmige Gestalt hat, ist an ihrem Boden durch
ein eigenthümliches System von Furchen und Falten (Rugce fovecs superioris) ausgezeichnet, welche gewöhnlich
dem Aussenrande parallel angeordnet sind, oft aber noch dazu einen Wirbel, einen Vortex rugarum, bilden (Fig.
(5—15 der Taf. XXXV; Fig. 1—3 der Taf. XXXVI; Fig. 2—5 der Taf. XXXVII). In diese Wirbel pflegt der sogen.
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