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Einen besseren Ueberblick über den sogen. Aquseduct bekommt man jedoch bei vorsichtiger Abtragung der
Lamina quadrigemina. Man kann dann sowohl die Boden-, als die Dachpartie überblicken. In den Fig. 6, 7, 8, 9,
14 und 15 der Taf. XXXV ist die Bodenpartie und in den Fig. 4, 5 und 6 der Taf. XXXVI die Dachpartie in
vergrössertern Massstabe (2-, resp. 3-mal. vergrössert) abgebildet. In der Fig. 3 der Taf. XXXVII ist ferner die
Bodenpartie und in Fig. 2 der Taf. XLII die Dachpartie in directer Photographie (vergrössert) wiedergegeben. Aus
allen diesen Figuren findet man, dass der sogen. Aquaeduct in seiner Mittelpartie eine Erweiterung besitzt, welche
sich nach den beiden Enden hin mehr oder weniger verengert. Diese Erweiterung kann zwar, wie aus den angeführten
Figuren hervorgeht, eine verschiedene Grösse haben, doch ist sie stets vorhanden. Mit vollem Rechte
sollte dieser Kanal auch beim erwachsenen Gehirn als die Ventrikelhöhle des Mittelhirns aufgeführt und nicht
nur als ein von dem vierten zu dem dritten Ventrikel leitender Kanal oder Aquceduct betrachtet werden. Man
könnte ihn als Ventriculus mesencephali oder intermedius bezeichnen. Bei der Loupenvergrösserung erkennt man sowohl
an dem Boden, wie am Dache eine Anzahl eigenthümlich gestalteter Furchen und Falten, die Rugce ventriculi
intermedii s. aquceductus Sylvii, welche, wie die angeführten Figuren zeigen, ziemlich viele Variationen darbieten.
Am Dache, wo sie auch fehlen können, sind sie meistens quer oder schief gestellt und besonders zahlreich. Am
Boden sind sie zumeist schief angeordnet, Am Dach kommt vorn in der Medianlinie, dicht hinter der Commissur,
ein eigenthümlicher, länglicher Haufen kleiner, rundlicher Höckerchen fast constant vor (Fig. 4, 5 und 6 der Taf.
XXXVI; Fig. 2 der Taf. XLII). Es scheint, als ob Bergmann schon vor vielen Jahren dies Faltensystem beobachtet
und als ein eigenes »Chordensystem» mit dem Namen »Psalterium seu Organon pneumaticum» bezeichnet habe.1
Auf Medianschnitten des Gehirns erkennt man diese Anordnungen der epcndymalen Oberfläche wieder. In
den Fig. 1—6 der Taf. XXXIV habe ich die Falten in ihren wechselnden Formen wiedergegeben; auf verschiedenen
anderen Tafeln sind sie zum Theil ebenfalls abgebildet, Wie man sieht, setzen sie sich von der Ventrikelhöhle
des Isthmus fort und sind an den Wänden der Ventrikelhöhle des Mittelhirns nur schwächer, dichter und meistens
schief oder quer gestellt. Auf solchen Medianschnitten erkennt man ferner, dass diese Ventrikelhöhle gewisser-
massen verschiedene Abtheilungen darbietet. Wie schon oben angegeben wurde, bildet die untere Medianfurche eine
tiefe Incisur, die Incisura prceisthmica, welche Burckhakdt zuerst als die hintere Grenze des Mittelhirns aufgeführt
hat; diese Incisur befindet sich indessen ziemlich weit nach vorn hin gerückt, und zwar unter dem vorderen Theil
der Corpora quadrigemina posteriora. Es erklärt sich dies dadurch, dass die Dachpartie sich weiter nach hinten
hin verschoben hat, wodurch Dach und Boden einander nicht richtig entsprechen. Nach vorn von dieser Incisur
steigt die Medianfurche empor, am Boden des Mittelhirns nur seicht werdend. Die Querschnitte des Mittelhirns
geben gerade über diese Verhältnisse und im Ganzen auch über die Längsfurchen guten Aufschluss, weshalb ich
hier im Texte (Fig. III) einige Reihen solcher Querschnitte, nämlich von vier verschiedenen Gehirnen und von hinten
nach vorne angeordnet, veröffentliche. Wie es von den Autoren angegeben wird, ist der Querschnitt des Aqua?ducts
in seinem hintersten und vordersten Theile dreiseitig oder T-förmig mit nach unten gerichteter Spitze. Nun
gehört aber die hintere T-förmige Partie grösstenteils dem Isthmus an, und der untere Schenkel des T entspricht
der medianen Längsfurche bis an die BüRCKiiARDT'sche Incisur. Nach vorn davon verändert sich die
Gestalt des Querschnitts, aber, wie die Figuren zeigen, in ziemlich wechselnder Weise. Es giebt nicht nur eine
Kartenherzform, wie die Autoren angeben, sondern auch polygonale und anders gestaltete Typen, die sich jedoch
im Ganzen dadurch auszeichnen, dass sie in die Breite gezogen sind. Theilweise kann man noch eine untere
und eine obere Medianfurche und zwei Seitenfurchen erkennen; diese Furchen werden aber in verschiedener
Weise verwischt, und zwar nicht am wenigsten gerade durch die oben beschriebenen Furchen- und Falten Systeme
der ependymalen Wand. Vor Allem verwischt sich vorne die obere Medianfurche, so dass man von einer »Carina»
des Daches, einer mittleren Einbuchtung desselben, gesprochen hat. Diese »Carina» entspricht offenbar der oben
von mir beschriebenen medianen Höckerfirste (Fig. 4, 5 und 6 der Taf. XXXVI). Am vordersten Theile verengert
sich der Aquaeduct stets, obwohl in verschiedenein Masse (s. die eben angeführten Figuren), und nimmt
wieder die seit Gerlach bekannte dreiseitige Gestalt mit unterer Medianfurche an, um sich unter der Commissur
in den dritten Ventrikel zu öffnen. Von vorn her betrachtet, erscheint diese Oeffnung so, wie sie die Fig.
15 der Taf. XXXIV darstellt.
WTie ich oben schon angedeutet habe, zeigen die Medianschnitte eine Art Abtheilungen der Ventrikelhöhle
des Mittelhirns. Am Dache kann man im Ganzen vier Einbuchtungen (Fig. 6 der Taf. XXXIV; Fig. 1 der Taf.
XLII) nachweisen, nämlich eine winklige, die hinten am Uebergang zum Isthmus belegen ist, zwei schwach concave,
1 Nach IIexle's Handb. d. System. Anatomie angeführt.
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