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Stränge auflöst, welche nach aussen und vorn hin verlaufen, um bald zu verschwinden; diese Anordnung kommt
oft auch, worauf ich weiter hinten zurückkommen werde, in späteren Entwicklungsstadien vor; in diesem Falle
war aber auch eine eigentümliche Fortsetzung der vorderen Stielplatte vorhanden, indem dieselbe sich mit scharfen,
seitlichen Grenzen und medianem Wulste gegen die Ansatzstelle des Hypophysenstieles fortsetzte und ihn mit
zwei dünnen seitlichen Armen umfasste; eine derartige Anordnung habe ich zwar mehrmals gesehen, doch ist sie
in solcher ausgeprägten Form ein ziemlich seltenes Vorkomniss. ... Bei der Forschung nach der fraglichen eigentümlichen
Erhabenheit an Gehirnen aus der späteren Foetalzeit fand ich dieselbe stets, obwohl die Grenzen zuweilen
etwas verwischt erschienen und die Ausbuchtung etwas schwach war. Hierauf ging ich zur Nachforschung
über das Gebilde an dem Gehirn von Kindern und Erwachsenen über. Zu meinem Erstaunen erkannte ich es
nun an jedem Gehirn, obwohl auch hier die Grenzen zuweilen nicht so bestimmt wie in der Foetalzeit angegeben
waren. In der Fig. 7 der Taf. XXXIII ist das Gebilde in seiner gewöhnlichen, gut ausgeprägten Gestalt vom
Gehirn eines erwachsenen Menschen (33-jährigen Mannes) wiedergegeben. Man erkennt das Kleeblatt mit dem
hinteren, zwischen die Corpora maramillaria einschiessenden schmalen Fortsatz, den beiden lateralen Flügeln und
dein vorderen breiten Stiel. In der Fig. 8 ist das Gebilde von dem Gehirn eines 17-jährigen Jünglings, um ein
Beispiel des weniger scharf ausgeprägten Organes zu liefern, wiedergegeben. In den Fig. 9 und 12 sind andere
Beispiele noch weniger markirter Organe derselben Art abgebildet; ich habe diese letzteren mitgetheilt, um zu
zeigen, dass das Gebilde auch in solchen Fällen sichtbar ist; man versteht aber seine Einrichtung erst beim Vergleich
mit den deutlicher ausgeprägten Fällen. In der That habe ich an 50 darauf untersuchten erwachsenen
und einer doppelten Anzahl von foetalen Gehirnen das fragliche Organ nie vermisst, obwohl seine Ausbildung in
verschiedenem Grade geschehen war. Und doch habe ich dies Gebilde in keiner der vielen Arbeiten erwähnt
gefunden, welche das menschliche Gehirn im erwachsenen Zustande behandeln, und ebenso wenig habe ich es in
den zahlreichen Figuren derselben Arbeiten abgebildet gesehen. Was stellt nun dieses Organ am menschlichen
Gehirn dar? Seine Lage führt den Gedanken sofort auf den Saccus vasculosus am Gehirn der Knochen- und
Knorpelfische. Zwar ist dieses Organ bei diesen Thieren in einer ganz speciellen Richtung ausgebildet. Seine
Lage und seine Beziehungen zu den angrenzenden Theilen weisen aber auf eine morphologische Uebereinstimmung
zwischen ihm und dem fraglichen Organe beim Menschen hin. Bei den Fischen tritt dieses Organ wohl oft in
engere Beziehung zu der Hypophyse, weshalb es mehrere Forscher nur als einen Anhang derselben aufgefasst
haben. In der That hat man der morphologischen Bedeutung des Saccus vasculosus mit besonderer Rücksicht
auf seine eigene phylogenetische Entwicklung noch nicht genau und systematisch nachgeforscht. Ich zweifle nicht
daran, dass man bei einer solchen Nachforschung interessante Thatsachen entdecken wird. Ich habe nun eine
derartige Untersuchung begonnen. Es fehlen mir aber noch manche Glieder, um ein solches Verständniss der
\ erhältnisse zu erhalten, dass ich die Ergebnisse veröffentlichen will. Nach dem, was ich bis jetzt erfahren habe,
stehe ich nicht an, in dem fraglichen Organe eine besondere Neuromere zu erblicken. Da mir aber, wie eben
hervorgehoben wurde, noch manche Zwischenglieder fehlen, so will ich lieber vorsichtig sein und die endgültige
Entscheidung über das eben beschriebene Organ des menschlichen Gehirns, obwohl ich in ihm ein Homologon
des Saccus vasculosus der Fische erblicke, noch nicht abgeben. Ich werde also das Organ des menschlichen Gehirns
lieber als Eminentia saccularis bezeichnen. Die beiden lateralen Flügel desselben können Alae laterales
und der hintere schmale Fortsatz Processus intermammillaris genannt werden. Den sackförmigen Hohlraum der
Eminentia saccularis, welcher eine Ausstülpung des dritten Ventrikels darstellt, bezeichne ich als Recessus saccularis
.....Zu beiden Seiten der Eminentia saccularis, also an den Seitenpartien des sogenannten Tuber cinereum,
findet man jederseits eine mehr oder weniger ausgesprochene rundliche Erhabenheit, und dies sowohl am foetalen,
wie am erwachsenen menschlichen Gehirn (Taf. XXXIII, Fig. 1—8, 12 u. s. w.). Zuweilen sind diese Erhabenheiten
recht hervortretend (Fig. 4, 9, 12), und in sehr vielen Fällen laufen sie in je eine rundliche Warze aus
(Fig. 8), welche der betreffenden Gegend durch ihre symmetrische Lage ein eigenthümliches Aussehen giebt. Diese
beiden Erhabenheiten, welche also auch am Gehirn des erwachsenen Menschen vorhanden sind, entsprechen ihrer
Lage und ihren Beziehungen nach wahrscheinlich den Lobi inferiores der Fische. Ich werde sie indessen bis auf
Weiteres als Eminentiae laterales hypencephali bezeichnen. Sie liegen in der Regel nicht in ganz derselben Frontalebene
wie die Eminentia saccularis, sondern ein wenig mehr nach vorn hin, doch stets distal vom Hypophysenstiele
, und scheinen im Ganzen zu der Eminentia saccularis in engerer Beziehung zu stehen, d. h. ihr näher anzugehören
. Was den Stiel der Hypophyse, den eigentlichen Trichter (Infundibulum) betrifft, so findet man an seinem
Ursprungstheil sehr oft, aber nicht constant, eine kolbig-rundliche Erweiterung, eine Art Bulbus infundibuli, die
sich in die allmählig schmäler werdende, schlangenartige Partie des Trichters fortsetzt, um dann in die eigentliche
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