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Fascia dentata, noch dem Aramonshorn angehören, sondern als ein Theilstück des Lobus lirabicus aufzufassen
seien; zugleich bestritt er die Ansicht, class Vicq d'Azyr die fraglichen Gebilde erwähnt oder abgebildet habe;
vielmehr habe Tarin eine, obwohl höchst oberflächliche Kenntniss von der Balkenwindung gehabt.
In der letzteren Hinsicht stimme ich ihm, nachdem ich die Angaben und Tafeln von Vicq d'Azyr von
Neuem durchmustert habe, vollkommen bei. Es lag stets in dem Wesen meines Vaters, den Vorgängern möglichst
gerecht zu sein, auch wenn sie sich in der betreffenden Richtung nur andeutungsweise geäussert hatten. Nun glaubte
er bei Vicq d'Azye solche Andeutungen zu finden, und er zauderte daher nicht, ihm die Ehre der Entdeckung
zuzuerkennen. Nach den kritischen Auseinandersetzungen Zuckerkandl's muss ich gestehen, dass mein Vater
in diesem Falle hierin zu weit gegangen war. Ebenso wenig wie Zuckerkandl, kann aber auch ich Tarin die Entdeckung
der fraglichen Windungen zuerkennen, denn seine Kenntniss von ihnen war in der That — um Zuckerkandl
's Worte zu gebrauchen, — höchst oberflächlich. Tn Folge dessen muss ich diese Entdeckung entschieden
meinem Vater vindiciren, da er diese Windungen nicht nur beim Menschen, sondern auch bei verschiedenen Thieren
beschrieben und ihre Bedeutung für die vergleichende Anatomie eingesehen hat. Nachdem dann Key und ich
die Windungen beim Schafe dargestellt und uns im Allgemeinen kurz über sie geäussert hatten, erwarb sich
Zuckerkandl das Verdienst, sie aufs Neue gefunden und in ausgedehnter und genauer Weise bei vielen Thieren
und beim Menschen beschrieben zu haben. Endlich hat auch V. Rogner,1 ebenfalls aus dem Anat. Institute der
Univ. Graz, eine Darstellung der fraglichen Bildungen bei mehreren Thieren gegeben.
Nach dieser historischen Auseinandersetzung gehe ich zu der Besprechung meiner eigenen Befunde über.
Ich gestehe sofort, dass man ohne eine eingehende Kenntniss der Verhältnisse bei den verschiedenen Säugethieren
keine richtige Auffassung von der Natur dieser Bildungen erhält. Ich habe ihnen deshalb in meiner nunmehr
bedeutenden Sammlung von Thiergehirnen nachgeforscht; es liegt indessen nicht im Plane dieser Arbeit, vergleichende
anatomische Fragen aufzunehmen, weshalb ich diesmal von der Veröffentlichung der hierauf bezüglichen
Abbildungen abstehe, was ich um so mehr thun kann, als schon Zuckerkandl und Rogner die wichtigsten Befunde
wiedergegeben haben. Ich werde mich deshalb in dieser Arbeit auf die Behandlung der betreffenden Verhältnisse
beim Menschen beschränken. V. A. werde ich, da die von Zuckerkandl und Giacomini gelieferten Abbildungen
wenig befriedigend sind, von diesen Windungen eine Reihe von Figuren mittheilen.
An der Aussenseite der Fascia dentata, und zwar weit nach hinten, in der Nähe ihres Ueberganges in das
wenig gezähnelte Endstück, wo sie sich unter dem Splenium in einem Bogen nach hinten und innen umbiegt,
treten in dem solchergestalt entstandenen Winkel eigentümliche, rundliche oder rundlich-ovale Höcker auf, welche
eine grosse Variation darbieten. Sie sind auch nicht constant vorhanden. Bald fehlen sie nämlich ganz, bald sind
sie nur andeutungsweise da, bald sieht man nur einen, bald zwei, bald drei, vier, fünf oder sogar sechs oder
sieben, welche wie die Perlen in einer Perlenschnur geordnet sind. Sie scheinen erst spät im foetalen Leben
aufzutreten. Indessen habe ich solche Höcker im 8. Monate gesehen (Fig. 1 der Taf. XLIX). Beim Erwachsenen
traf ich sie in mehr als der Hälfte der untersuchten Gehirne; wenn sie vorhanden sind, treten sie, obwohl oft
von verschiedener Ausbildung, gewöhnlich, aber nicht immer, an beiden Hemisphären desselben Gehirns auf. In
Fig. 8, 12 und 15 der Taf. XLIX sind drei Fälle wiedergegeben, wo nur ein Höcker vorhanden ist; in Fig. 4
und 11 finden sich zwei; in Fig. 11 der Taf. L drei; in Fig. 10 und 14 der Taf. XLIX vier und in Fig. 9
ders. Taf. 7 Höcker, alle an einander gereiht, abgebildet. In der Fig. 16 der Taf. L findet sich nach aussen
von der gewöhnlich vorhandenen Reihe von Höckern noch eine, obschon schwächer ausgeprägte Reihe von Höckern.
Ausserdem sind die fraglichen Höcker auch auf manchen der durch directe Photographie wiedergegebenen Medianschnitte
erwachsener Gehirne vorhanden (z. B. Taf. LXI, Fig. 1 und 4; Taf. LXVI, Fig. 2 und 4; Taf. LXXV,
Fig. 4; Taf. LXXXV, Fig. 1). In der Regel hängen diese Höcker mit dem inneren Umfang des Gyrus hippo-
campi eng zusammen, so dass sie als warzenähnliche Auswüchse dieses Gyrus imponiren. Es kommt aber auch
vor, dass sie von ihm scharf abgegrenzt sind und mit der Fascia dentata intim zusammenhängen (Fig. 12 der
Taf. XLIX). Indessen schliesse ich mich der Ansicht Zuckerkandl's an, dass sie eher als dem Gyrus hippo-
campi, als der Fascia dentata angehörig anzusehen sind. Streng genommen gehören sie wohl keiner dieser Windungen
an, obwohl sie in der Spalte zwischen ihnen auftreten und bald mehr mit der einen, bald mehr mit der
anderen zusammenhängen. Die Ansicht von Giacomini, class sie auf Grund ihres Baues zum Ammonshorn zu
rechnen sind, hat manches für sich, um so viel mehr, als sie gerade in der Fissura hippocampi ihren Platz haben.
Diese Theile sind aber so nahe mit einander verbunden, class es sich kaum lohnt, sich darüber zu streiten, welchem
1 Victor Rogner, Über das Variiren der Grossbirnfurchen bei Lepus, Ovis und Sus. Zeitscbr. f. wiss. Zool., Bd 39, 1883.
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