Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0109
91

nachher ein. Bald danach erheben sich der Gyrus temporalis superior und der Gyrus supramarginalis stärker
und fangen an, sich zu begrenzen — das centrale Gehörorgan. Zuletzt erfolgt die Ausbildung und Ausmodellirung
der Associationscentra, des parietalen, frontalen und insularen Centrums im Sinne von Flechsig.

Wie oben hervorgehoben wurde, rindet sich in den Partien der Hirnrinde, welche zuerst zu Erhebungen,
zu Windungen werden, offenbar von Anfang an die grösste Wachsthurasenergie. Durch ihr fortgesetztes Wrachsen
werden diese Partien aber eng aneinander gedrückt, sodass nur ein geringerer Theil ihrer Oberfläche an der
eigentlichen, sichtbaren Hirnoberfläche Platz finden kann. Der übrige Theil derselben Ast den Spalten und Furchen
zugekehrt und also in ihnen belegen. Auch an diesem Theil der Oberfläche des Gehirns entstehen hier und
da besondere Erhebungen, die Tiefenwindungen, auf die u. A. Heschl die Aufmerksamkeit gelenkt hat. Aber
nicht nur diese besonderen Tiefen Windungen sind für die Morphologie und Physiologie des Gehirns wichtig. Die
Morphologen haben sich zwar — und das war ja von Anfang an ganz selbstverständlich ■— hauptsächlich mit
den eigentlich geformten Theilen des Gehirns, der äusseren Gestalt der Windungen und Furchen, beschäftigt.
Was die in den Furchen versteckt belegenen Partien der Hirnoberfläche betrifft, so haben sie sich deshalb auch
nur mit den an diesen Partien befindlichen Erhabenheiten, den eigentlichen Windungen, den Tiefenwindungen,
beschäftigt, und dieses sogar auch nur theilweise. Die übrigen Theile der Hirnoberfläche sind zwar morphologisch
weniger interessant; in physiologischer Beziehung können sie aber von grosser Bedeutung sein. Es ist sogar
kaum anzunehmen, dass die physiologisch wichtigsten Rindenpartien nur an der sogen, »sichtbaren» Hirnober-
fläche belegen sind. Es sind deshalb wahrscheinlich die an der unteren und der medialen Fläche des Operculuni
fronto-parietale befindlichen Rindentheile ebensowohl von einer bestimmten und bestimmbaren physiologischen
Dignität, wie die an der dorsalen Fläche belegenen, in welchen man schon mit Sicherheit gewisse Organe locali-
sirt hat. Die unteren und medialen Partien der Opercularregion liegen aber versteckter und bieten den physiologischen
Experimenten grössere Schwierigkeiten dar. Einmal wird es jedoch mit der Beihülfe der Histologie
und der pathologischen Anatomie gelingen, auch die physiologische Bedeutung dieser Partien zu eruiren. Dann
ist es aber, um die einzelnen Rindenbezirke genau angeben zu können, wichtig oder sogar nothwendig, die morphologischen
Verhältnisse in eingehender Weise zu kennen.

Es findet sich indessen in den von Alters her für die Rindenoberfläche gebrauchten Termini offenbar ein gewisser
Mangel. Die Bezeichnung -»Gyrus» bedeutet etymologisch einen »Kreis», »ein gewundenes Feld»; am Gehirn
bezeichnet es aber morphologisch eine Windung, eine gewundene Erhebung, eine Erhabenheit der Rinde; der
»Sillens» bezeichnet eine Furche zwischen den Gyri. Das Wort Gyrus lässt sich auch für die Rindensubstanz und
die betreffende Rindenoberfläche selbst gebrauchen; mit dem Wort Sulcus kann man aber nur einen Zioischenraam,
einen eingesenkten Hohlraum zwischen den Gyri bezeichnen. Wenn man nun als die Fläche der Gyri nicht nur
die Oberfläche ihrer sichtbaren Partie, sondern auch diejenige ihrer in den Furchen versteckt liegenden Theile,
und zwar, was wohl richtig ist, bis an den Boden der Sulci betrachtet — so stösst man hier am Boden doch
noch immer auf eine Partie, die sich von dem Nachbargyrus nur mit Schwierigkeit abgrenzen lässt. Hier wäre
es d:iher von Bedeutung, einen »Terminus» im römischen Sinne, eine neutrale Zone zwischen den beiden angrenzenden
Gyri feststellen zu können. Die Oberfläche der Hirnrinde ist aber an sich eine überall zusammenhängende
Fläche. Man kann also als neutrale Grenze, als Terminus zwischen den Windungen den Grund der Furchen
nur im Allgemeinen aufführen und die Rindeirfläche in diesem gewöhnlich allmählig coneavirten, nicht scharf abgesetzten
Grund als die Rindenoberfläche des Sulcusbodens bezeichnen. Einer ähnlichen Schwierigkeit be^eo-net
man auch überall, wo die Gyri an der Oberfläche zusammenfliessen; es ist oft sehr schwer oder gar unmöglich,
die Grenze zwischen ihnen zu bestimmen; die Grenze kann nur artifieiell, sogar nur subjectiv gezogen werden. In
dieser Weise kann leider viel Subjectives und Artificielles in der Hirnmorphologie eine Rolle spielen. Ein Mangel
findet sich auch darin, dass Mir für die grösseren Windungen, die Hauptzüge, keine sie von den kleineren, den
sogen, sekundären und tertiären, scharf unterscheidende Bezeichnung haben. Wenn also auf einem grösseren Gyrus,
einem Hauptgyrus, andere kleinere Gyri (und Sulci) auftreten, so nennen wir diese ebenfalls Gyri (und Sulci), denn
die Bezeichnungen »sekundäre» und »tertiäre» Gyri sind oft sehr unbequem und unter sich kaum aus einander zu
halten. Es wäre in solchen Fällen oft vortheilhaft, für die untergeordneten Gyri eine andere Bezeichnung, z. B.
Gyruli, anwenden zu können. Ebenso wäre es auch oft nützlich, für die die grösseren Windungen verbindenden
Brücken, die Brüekenwindungen (die Gyri transitivi und G. profundi), einen besonderen, bequemen Terminus zu haben.

Wohl Hesse sich in dieser und anderer Hinsicht noch manches sagen, doch haben die Hirninorphologen über
diese und ähnliehe Fragen sicherlich schon lange reflectirt. ohne dass es ihnen bisher möglich Gewesen ist, die
Schwierigkeiten zu eliminiren und praktische Aenderungen zu treffen.


Zur ersten Seite Eine Seite zurück Eine Seite vor Zur letzten Seite   Seitenansicht vergrößern   Gegen den Uhrzeigersinn drehen Im Uhrzeigersinn drehen   Aktuelle Seite drucken   Schrift verkleinern Schrift vergrößern   Linke Spalte schmaler; 4× -> ausblenden   Linke Spalte breiter/einblenden   Anzeige im DFG-Viewer
http://dl.ub.uni-freiburg.de/diglit/retzius1896-1/0109